Herzgespinst - Thriller
den Zirkusleuten zu, bevor Oliver Lotte auf seiner Fahrradstange nach Hause fuhr.
Erst als Oliver alleine in seinem Bett lag, fiel ihm etwas Überraschendes ein.
Julia war direkt nach dem Konzert verschwunden und er hatte sie den ganzen Abend überhaupt nicht vermisst.
17
E s war dieses Rauschen in ihrem Kopf, das Julia einfach nicht schlafen ließ.
Sie wusste nicht einmal mehr, ob die Schmerzen in ihren Gliedern vorher oder später aufgetaucht waren. Ob die Schlaflosigkeit von dem Fieber kam oder ob das Rauschen die Schmerzen, das Fieber oder doch umgekehrt verursacht hatte, oder das Fieber die Schmerzen und dieses gottverdammte Rauschen …?
Auf jeden Fall sollte es endlich aufhören. Alles sollte aufhören. Das Fieber, die Schmerzen, und vor allem dieses Rauschen in ihrem Kopf.
Sie wollte es auf der Stelle nicht mehr hören und zwängte ihren Kopf zwischen ihre Hände wie in einen Schraubstock.
Als das immer noch nichts half, nahm sie das Kissen und drückte es sich solange auf das eigene Gesicht, bis sie keine Luft mehr bekam und schrecklich zu würgen begann.
»Das mache ich jetzt nicht mehr mit, Julia!«, drang die Stimme ihrer Mutter in einem so alarmierten Tonfall wie sie ihn schon lange nicht mehr gehört hatte an ihr Ohr. Sie riss ihr das Kissen aus dem Gesicht und sagte: »Ich rufe jetzt sofort den Arzt an.«
In diesem Sommer waren viele Leute krank. Die meisten mit Sonnenstich. Trotzdem war der Notarzt in weniger als einer halben Stunde vor Ort.
»Kein Sonnenstich«, sagte er, nachdem er die Nacken probe mit ihr gemacht hatte. »Vermutlich eine Sommergrippe mit schwerer nervöser Erschöpfung«, diagnostiziert e er schließlich.
Er hatte Blutdruck gemessen, Julias Puls am Hals gefühlt und gewissenhaft ihr Herz abgehorcht.
»Schulstress?« Er nahm ihr das Fieberthermometer aus dem Mund und notierte die Temperatur auf einer Karteikarte. »Bekommst du ein schlechtes Zeugnis?«
Julia schüttelte vorsichtig den Kopf. »Aua«, sagte sie weinerlich. »Mit tut der Kopf so weh. Ich will nicht in die Schule.« Eine Träne rollte über ihre Wangen.
»Meine Tochter ist eine gute Schülerin«, mischte ihre Mutter sich ein. »Sie ist vielleicht einfach überfordert. Sie trägt am Wochenende auch noch Zeitungen aus und verdient sich ihr Taschengeld selber. Seit mein Mann verunglückt ist, geht es uns finanziell nicht so gut. Da hilft Julia auch mit. «
Der Arzt sah Julia nachdenklich an. »Könnte sein. Muss aber nicht.«
Er setzte sich auf einen Sessel und beobachtete sie genau. »Ich schreibe dir ein Attest für die letzte Schulwoche. Hast du Freunde, die dir Gesellschaft leisten könnten und dich ein wenig aufmuntern? Das wäre sehr wichtig …« Der letzte Satz war an ihre Mutter gerichtet.
»Natürlich, Lotte«, antwortete diese erfreut. »Ein wirklich nettes Mädchen. Und vielleicht auch Oliver. Der war früher häufig bei uns. Ich rufe gleich mal bei den beiden an.«
»Auf gar keinen Fall!«, rief Julia aufgebracht und begann wild zu schluchzen. »Ich will nichts mit Lotte zu tun haben. Und Oliver will ich nie wieder sehen.« Sie kroch unter ihre Bettdecke und war nicht zu bewegen, wieder hervorzukommen.
Der Arzt gab Julias Mutter ein Zeichen und die beiden gingen hinaus.
»Was ist mit meiner Tochter los?«, fragte Julias Mutter ängstlich.
»Wenn ich ehrlich sein soll, tippe ich auf einen Streit unter Freundinnen in der Schule«, sagte der Arzt. »Kann es sein, dass beide in denselben Jungen verliebt sind, diesen Oliver? Das hört sich nach einer unglücklichen Liebesgeschichte an.«
Julias Mutter schüttelte energisch den Kopf. »Auf gar keinen Fall«, sagte sie. »Sie irren sich gewaltig, wenn ich das sagen darf. Oliver und Julia sind quasi wie Geschwister aufgewachsen. Aber dass es Ärger mit Lotte gab, kann ich mir eher vorstellen. Die Freundschaft zwischen den beiden hat schon einmal nicht richtig funktioniert. Lotte ist zwar ein nettes Mädchen, aber ziemlich naiv.«
Sie seufzte tief. »Ihre Eltern sind sehr wohlhabend, Geld spielt keine Rolle. Vielleicht hat sie ja etwas Unbedachtes gesagt, das Julia gekränkt hat.«
Sie machte ein besorgtes Gesicht. »Meine Tochter hat schon einmal eine schwere Sommergrippe gehabt, mit ganz ähnlichen Symptomen. Damals ist zur gleichen Zeit mein Mann tödlich verunglückt und Julia hat vor Kummer Schlaftabletten geschluckt. Ich bin kein Arzt, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich habe nur als Krankenschwester auf der Ambulanz gearbeitet.
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