Herzgespinst - Thriller

hatte er gestern Abend daran gedacht, sich noch einmal bei Julia zu melden.
    Er stellte sich vor, was dann passiert wäre. Er hätte Julia ins Krankenhaus gebracht und sie wäre ordentlich verarztet worden. Aber Shiva wäre umsonst zur Bar gekommen und er hätte nicht diese wunderbare Nacht bei ihr verbracht. So etwas nannte man wohl Schicksal.
    »Wieso bist du überhaupt noch mit dem Fahrrad hergefahren?«, fragte er wütend vor Sorge. »Das war so dermaßen unvernünftig. Du hättest es mir schon gleich am Telefon erzählen müssen.«
    »Da tat es ja noch nicht so weh«, verteidigte sich Julia. »Was soll ich denn jetzt machen?«
    Oliver überlegte. »Meinst du, du kannst auf meiner Fahrradstange sitzen? Ich bringe dich in die Ambulanz. Den Verband jetzt hier aufmachen bringt nichts.«
    Julia nickte. »Schaffe ich bestimmt.«
    Gerade als er sie auf sein Fahrrad hievte, kam über den Feldweg ein Auto. Es war der VW Bus von Kurt Jansen. Er hielt direkt vor ihnen an und Kurt Jansen stieg aus. »Hallo zusammen!«, rief er. »Das ist ja ein Zufall. Seid ihr öfter hier?«
    Er sah Julia prüfend an. »Hallo, Kleine«, sagte er und seine Stimme bekam einen besorgten Klang. »Du siehst aber nicht besonders fit aus. Geht es dir immer noch nicht besser?«
    Julia sah Kurt Jansen überrascht an. »Onkel Kurt«, sagte sie.
    »Ich war dich gleich im Krankenhaus besuchen, als ich hörte, was passiert ist. Aber da hast du noch geschlafen. Haben dir die Pralinen geschmeckt?« Er lächelte sie an.
    »Danke, Mama hat sie mir gegeben«, sagte Julia und ließ offen, ob sie diese überhaupt probiert hatte.
    »Sie hat sich versehentlich in die Hand geschnitten«, mischte sich Oliver ein. »Ist schlimmer, als sie zuerst dachte. Ich wollte sie gerade zur Ambulanz bringen.«
    Kurt Jansen runzelte die Stirn. »Du willst sie aber nicht auf deinem Fahrrad transportieren, oder? Wo ist es passiert? Hier irgendwo? Die alten Eisenteile sind doch bestimmt rostig. Da muss man sich in Acht nehmen.«
    Oliver schüttelte den Kopf. »Nein, schon gestern Abend. Zu Hause. Sie hat geglaubt, es heilt von selber.«
    Kurt Jansen schob kurzerhand die Tür seines VW Busses auf. »Los. Rein mit euch. Ich fahre euch natürlich mit meinem Auto.«
    Oliver half ihm, die beiden Räder auf dem Dachgepäckträger festzuzurren, während Julia im Bus wartete. Ihre Lippen waren bleich und ihre Zähne klapperten, als ob sie Schüttelfrost hätte. Kurt Jansen beobachtete sie besorgt.
    »Julia gefällt mir aber gar nicht«, sagte er.
    Im Krankenhaus wurde Julia sofort in die Chirurgie gebracht. Die Wunde war sehr tief und hatte sich bereits entzündet. Während sie verbunden wurde, kam der Arzt, der sie behandelt hatte, noch einmal zurück.
    »Sind Sie der Vater?«, fragte er Kurt Jansen.
    Jansen schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin der Onkel. Hauptkommissar Jansen. Gibt es Probleme?«
    Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Die Wunde passt nicht mit der Schilderung des Unfalls zusammen. Wenn man stürzt, entsteht nicht so eine tiefe Wunde. Ich gewann fast den Eindruck, sie wollte jemanden decken, so, wie sie über den Hergang sprach. Als ob sie sich mit jemandem gestritten hätte, der ihr dann die Schere …« Er brach ab. »Aber das ist natürlich alles nur Spekulation. Fakt ist, die Wunde passt nicht zu der Story.«
    Er sah Oliver an. »Sie sind doch ihr Freund, stimmt es? Hatten Sie beide gestern Abend Streit?«
    Oliver wurde knallrot. »Bin ich nicht«, antwortete er heftig. »Und wir hatten auch keinen Stress.«
    Der Arzt sah ihn verblüfft man. »Aber das Mädchen hat doch gesagt, dass Sie ihr Freund sind.«
    Kurt Jansen mischte sich ein. »Oliver sagt die Wahrheit. Die zwei sind wie Bruder und Schwester aufgewachsen. Sie sind tatsächlich nur Freunde. Kein Wunder, dass Sie das missverstanden haben.«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Hören Sie, so begriffsstutzig bin ich nun auch wieder nicht. Das Mädchen hat eindeutig angegeben, dass Sie in einer Liebesbeziehung mit dem Jungen steht. Noch mal im Klartext: Die Verletzung sieht aus wie eine Beziehungstat.«
    Er fixierte Kurt Jansen scharf. »Aber da Sie Polizist sind, ist die Sache ja in guten Händen. Ihre Nichte hat eine Tetanusspritze gekriegt und muss einen Moment ruhen. Dann können Sie sie mitnehmen.« Er nickte einen Gruß und verschwand hinter einer Milchglastür.
    Kurt Jansen sah Oliver verblüfft an. »Stimmt das? Seid ihr zwei zusammen? Ich habe gedacht, diese Lotte ist deine Freundin?