Herzgesteuert: Roman (German Edition)
so richtig nett zusammensitzen und plaudern, und wie ich meine Fanny kenne, wird sie mich über ihrem Teller anstrahlen, meine Hand nehmen und mir dann anvertrauen, dass der Mathelehrer heute besonders nett zu ihr war und sie einen Dreier bekommen hat. Und dass sie natürlich in die nächste Klasse aufsteigt und dass ich mir keine Sorgen machen muss. Und dass der Rottweiler mich schön grüßen lässt und fragt, ob ich nicht ein nettes kleines Reihenhaus für ihn habe. Und dann werde ich lächelnd antworten, dass nette kleine Reihenhäuser nicht mehr zu meinem Repertoire gehören, aber er könne sich gerne an meinen Kollegen Karsten Korzkamp wenden, der hat auch Angebote für die kleinere Brieftasche … Meine blühende Fantasie trägt mich schon wieder aus der Krise. Unwillkürlich muss ich grinsen.
Scheiße. Etwas Störendes gerät in mein Blickfeld. Keuchend bleibe ich ruckartig stehen. Meine Lieblingsbank ist besetzt.
Das ist doch nicht schon wieder dieser Penner?
Ich meine, seit wann geistert der eigentlich hier herum? Und wer hat ihm erlaubt, sich ausgerechnet meine Bank auszusuchen? Hat er hier womöglich … übernachtet?
Sein überladener Einkaufswagen steht hinter der Trauerweide. Einen Moment lang zögere ich.
Ich muss ja nicht dorthin gehen, fällt mir ein. Ich könnte ja einen Bogen um ihn machen. Ich bin schließlich nicht mit dieser Bank verabredet . Sie scheint mir nur einfach nicht mehr zu gehören. Trotzdem gehe ich automatisch weiter, ich kann einfach nicht dagegen an. Ich fühle mich wie auf dem Laufband, ich kann nicht zurück.
Das hier gehört auf der Stelle geregelt.
Was soll ich sagen, wenn ich vor ihm stehe?
»Entschuldigung, aber das ist meine Bank?«
»Bitte gehen Sie unauffällig weiter?«
Merkwürdig. Auf magische Weise scheint mich dieser Mann anzuziehen.
Ach Quatsch, sage ich mir. Die Bank zieht mich an, die Erinnerung an schöne, sorglose, glückliche, entspannte Nachmittage. Ich will mich einfach nicht vertreiben lassen von diesem harmonischen, friedlichen Platz.
Verunsichert nähere ich mich zögernd dieser … Gestalt, die da auf meiner Bank sitzt und in die Sonne blinzelt.
Dann stehe ich drei Meter vor ihm.
Das mit der Bank muss jetzt einfach mal geklärt werden. Besser jetzt sofort, als wenn ich zu lange damit warte. Ich meine, der Sommer ist lang, und er sollte sich rechtzeitig ein anderes Plätzchen suchen.
»Hallo«, sage ich, indem ich ihm genau vor der Sonne stehe.
Als Diogenes in der Tonne scheinbar überrascht aufschaut, sieht er mich freundlich an, und ich entspanne mich ein kleines bisschen.
»Hallo«, antwortet er, und wir schweigen kurz.
»Also … ähm … ich dachte, Sie haben vielleicht noch nicht gefrühstückt«, entfährt es mir völlig unplanmäßig, und ich reiche ihm die Gurkenaufstrichstulle.
Er lächelt, und mir zieht sich irgendwo in der unteren Magengegend etwas zusammen. Mann, ist das peinlich, was ich hier tue. Ich bin so was von peinlich! Warum gehe ich nicht endlich ins Büro und telefoniere mir die Seele aus dem Leib, um die Schönheitschirurgenvilla an den Mann zu bringen?
Der Penner nimmt das in Alufolie eingewickelte Päckchen wie selbstverständlich entgegen und schaut mich mit seinen braunen Augen an.
»Da haben Sie richtig gedacht«, sagt er schließlich. Dann faltet er das Butterbrotpapier auseinander, wobei mir auffällt, dass er wieder diese Strickhandschuhe mit den abgeschnittenen Fingerspitzen trägt.
»Sie müssen das natürlich nicht essen, wenn es Ihnen nicht … ähm … zusagt, aber ich habe es für meine Tochter gemacht, und die ist mir heute …« Abrupt breche ich ab. Warum erzähle ich dem Kerl das überhaupt … Aber ich brauche jetzt ein menschliches Wesen, das mir zuhört und ein kleines bisschen auf meiner Seite ist. »Sie ist mir heute Morgen ein bisschen böse, und da hat sie das Brot liegen lassen …«
Mann, eigentlich wollte ich mir das selber reinziehen, aber du verdirbst mir hier voll den Appetit.
»Das schmeckt absolut köstlich«, sagt er, nachdem er hineingebissen hat.
Ich beobachte aus zusammengekniffenen Augen, wie er genüsslich kaut.
»Wenn Sie mir jetzt noch aus der Sonne gehen würden«, äu ßert er schließlich höflich, nachdem er den Mund leer gemacht hat.
»Natürlich«, entfährt es mir, und ich trete einen Schritt zur Seite.
Komisch. Der Kerl hat offensichtlich Manieren. Schweigend verzehrt er die Stulle und nickt dabei zufrieden mit dem Kopf. Nimmt er mich noch wahr? Ich meine,
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