Herzgesteuert: Roman (German Edition)
zurückgespielt hat!
»Der ist ein Sadist!«, unterbricht mich Fanny. »Der gibt mir einen Fünfer!«
»Aber nein, Liebes, er hat nur gemerkt, wie sehr wir uns mit den Aufgaben beschäftigen!« Unbeholfen reiche ich ihr das Mathebuch mit meinen vielen Eintragungen, Fragezeichen und Randbemerkungen. Na gut, ein paar Flüche sind auch dabei.
Unwirsch reißt sie es mir aus der Hand.
» Du hast dich damit beschäftigt, Mama. Du. Nicht ich.«
Fanny sieht mich böse an, ihre Augen sind zu schmalen Schlitzen geworden. »Und du hast ihm seinen Spitznamen gepetzt! Meine ganze Klasse wird mich dafür hassen!«
»Aber der Rottweiler weiß doch längst von seinem Spitznamen«, lache ich fröhlich.
Plötzlich bleibt mir das Lachen im Halse stecken. Fanny hat ihr Schmusekissen ohne Vorwarnung quer durch die Küche geschleudert. Es landet in der Spüle, wo ein Glas zerbricht. Fasziniert starren wir beide darauf.
»Ohne dich ist alles doof«, wird ein schafsähnliches Wesen mit eng stehenden Augen und abstehenden Ohren zitiert. »Krabbelkäfer: doof. Sonne: doof. Schmetterling: doof. Baum: doof. Alle anderen: doof. Ich: doof.«
Warum da nicht »Mathe: doof. Geometrie: doof. Rottweiler: doof. Meine Mama: doof. Ich: doof. Schule: doof. Gurkenbrot: doof. Mein Leben: doof« draufsteht, weiß ich auch nicht!
Ich möchte einen Scherz in dieser Art machen, aber mir bleibt das Wort im Halse stecken. Alles soll wieder so sein wie vorher, ich möchte wieder ihre Freundin sein, ihre Vertraute, ihre Helferin in der Not, ihre Zuhörerin und Trösterin … ihre Mutter eben.
Spontan beuge ich mich vor und will meine Tochter in den Arm nehmen, aber sie entzieht sich mir trotzig. Die rosa Zornesflecken auf ihren Wangen werden noch eine Spur dunkler.
»Du willst immer allen zeigen, wie toll du bist! Du bist die beste Immobilienmaklerin der Stadt, du bist die Schönste, Klügste, Witzigste und Sportlichste und machst auch noch Charity für die armen Leute dieser Welt! Aber für deine Tochter bist du nicht toll!«
»Aber Liebes, ich wollte dir nur helfen! Ich habe mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um dir die Matheaufgaben erklären zu können!«
»Und warum hast du dem Rottweiler dann geschrieben?«
»Weil ich die Lösungen brauchte! Stell dir vor, ich hätte alles falsch gemacht …«
»Du hast alles falsch gemacht!«
Fanny schnappt sich ihre Schultasche, rammt ihre Füße in die Turnschuhe und knallt die Tür hinter sich zu. Völlig gebannt starre ich hinter ihr her.
Sollte sie recht haben? Habe ich einen Fehler gemacht? Wollte ich einfach nur Anerkennung? Von einem fremden, langhaarigen, Fahrrad fahrenden … Mathelehrer? Da wäre ich aber tief gesunken …
Ich öffne mehrfach den Mund, um ihr etwas hinterherzurufen, aber was soll ich sagen? Dass sie sich irrt? Dass ich es wirklich nur für sie getan habe?
Dass der Lehrer vermutlich schon lange weiß, wie die Schüler ihn heimlich nennen? Dass er es offensichtlich mit Gelassenheit nimmt?
Dass sie keine Angst vor ihm haben muss? Ich könnte … ich werde mit ihm reden, ihn anrufen, ihm alles erklären …
Mein schuldbewusster Blick fällt auf den Küchentisch, wo sie ihr Vollwertbrot mit Gurken liegen gelassen hat.
Mit bleischweren Füßen schleppe ich mich zum Fenster.
In der Morgendämmerung radelt Fanny gerade davon.
Die Kombination ihres Zahlenschlosses ist ihr wohl wieder eingefallen.
Sie wirft keinen Blick zurück, sosehr ich auch winke.
Bevor ich auf dem von Rottmeier belächelten Hempel’schen Sofa sitze und Löcher in die Luft starre, gehe ich lieber joggen. Genau. Ich werde Fanny das Schulbrot bringen, ganz vorsichtig an die Klassentüre klopfen und anstelle einer weißen Fahne mit dem Schulbrot winken. Sollte sie gerade bei Rottweiler Unterricht haben, kann ich die Sache sofort aufklären und alle Schuld auf mich nehmen. Ich werde vor der ganzen Klasse sagen: Seht her, der Rottweiler ist auf meinem Mist gewachsen, ich stehe dazu, ich kann meinen Fehler mutig und öffentlich eingestehen.
Als ich mich umgezogen habe und losgetrippelt bin, gefällt mir die Idee immer besser. Es ist noch kalt und dämmrig, Morgennebel hängt über dem Park, und ich komme mir unheimlich tapfer vor. Ja, ich werde mein Mädchen rehabilitieren. Das bin ich ihm schuldig.
Zwanzig Minuten später bin ich an der Schule angekommen. Die Sonne geht gerade auf und taucht das ansonsten trostlose Gebäude in strahlendes Licht.
Da sehe ich einen blonden Schopf im Foyer. Eine
Weitere Kostenlose Bücher