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Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Titel: Herzgesteuert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nur unnötig erschrecken.«
    Fassungslos starre ich ihn an. Wird er gleich noch ein paar Blumen aus meinem Vorgarten rupfen und sie mir würdevoll überreichen? Christiane taxiert uns mit Argusaugen, das spüre ich.
    »Nein. Das halte ich für keine gute Idee.«
    »Dann bleibt es einfach mal bei einem herzlichen Vergelts Gott.«
    Die braunen Augen des Mannes bohren sich noch ein letztes Mal in mein Gewissen, dann dreht er mir den Rücken zu, verstaut die Klamotten sorgfältig unter den schon aus allen Nähten platzenden Plastiksäcken und zieht mit seinem überladenen Einkaufswagen davon. Er schließt sogar noch sehr sorgfältig das Gartentor. Stoisch wankt er durch den strömenden Regen die Straße hinunter, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen. Ein nasses, trauriges, trostloses Bündel Mensch.
    Mir kommt das letzte Lied aus der Winterreise in den Sinn: »Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her – und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer – wunderlicher Alter, soll ich mit dir geh’n? Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?« Ich bekomme Gänsehaut und reibe mir unwillkürlich beide Oberarme, um nicht an meiner eigenen Kälte zu erfrieren.
    Das ist so ziemlich der trostloseste Anblick, den ich je hatte.
    Als ich mit vierzig Minuten Verspätung am Sonnenhang 9 ankomme, gießt es immer noch. Die Villa ist in den Nebelschwaden fast verschwunden. Der Sturm rüttelt an den Begonien, das Wasser rauscht mir in Bächen aus der steilen Einfahrt entgegen. Und der Stuttgarter Brezelkönig ist weg.

8
     
    A bends habe ich nichts Eiligeres vor, als die Sachen von dem
    Penner unauffällig aus der Waschmaschine zu zerren. Ich werde sie einfach entsorgen, der Mann hat ja jetzt bessere Klamotten und braucht diese Lumpen nicht mehr.
    Aber meine Glucken-Schwester Christiane ist schneller. Normalerweise ist sie sich ausdrücklich zu fein für Hausarbeit, weshalb wir uns eine Putzfrau teilen, aber ausgerechnet heute scheint sie große Lust auf einen kleinen Kontrollgang gehabt zu haben.
    Mit angewidertem Gesicht steht sie am Bügelbrett, wo sie Fannys und meine Sachen zu adretten Stapeln gefaltet hat, und zupft gerade an einem verschlissenen Oberhemd, unschlüssig, ob sie sich diesem Objekt ernsthaft widmen soll.
    »Bäh«, sage ich mit gespielter Abscheu. »Was ist das denn?« Einfach so tun, als wüsste ich von nichts. Kleine Notlügen erhalten die Verwandtschaft.
    »Das war in deiner Waschmaschine«, sagt Christiane spitz.
    »Nicht möglich.« Ich tue so, als hätte ich keine Idee, wie dieses Teil in meine Waschmaschine gelangt sein könnte, und betrachte den Fetzen aus der Nähe. Ein am Kragen ausgefranstes, kariertes Flanellhemd.
    »Kannst du mir sagen, was das ist ?«
    »Ein … Hemd?«, mache ich einen auf ahnungslos.
    »Ein Lumpen!« Christiane lässt das Hemd mit spitzen Fingern fallen.
    »Sag mal, kann es sein, dass du heute einen Penner in dein Haus gelassen hast?«
    »Ich?«, frage ich und drehe mich einmal um mich selbst, als ob die Möglichkeit bestünde, sie könnte mit jemand anderem reden.
    »Ja du. Ich habe dich vom Fenster aus gesehen! Mit einem runtergekommenen, zerlumpten Bettler.«
    »Ach der !«, sage ich lachend und schlage mir gegen die Stirn, als ob mir gerade erst wieder eingefallen wäre, dass ich da mit einem Kerl an der Tür gesprochen habe. »Den habe ich natürlich weggeschickt!«
    »Sein Einkaufswagen stand stundenlang im Garten!«
    Stundenlang?
    »Nee echt? Und das sagst du erst jetzt ?«
    »Was dafür spricht, dass er im Haus gewesen ist!« Christiane stemmt die Hände in die Hüften. »Ich habe die Polizei gerufen, denn du warst ja nicht da.«
    »Nein. War ich nicht.«
    »Aber die Polizei rief mich zurück und meinte, es sei alles in Ordnung.«
    »Ist es ja auch.«
    »Und wie kommt dann das Hemd in die Waschmaschine?«
    »Das? Ach so, das … ähm … Hemd«, versuche ich Zeit zu schinden und bin froh, dass genau in diesem Moment Fanny zur Tür hereinkommt, »ähm … das gehört Fanny. Sie braucht es in der Schule. Zum Malen.«
    Ich mache Fanny hinter meinem Rücken wilde Zeichen, und zu meiner Überraschung kapiert sie sofort. Sie reagiert blitzgescheit: »Ja, das brauche ich zum Malen. In der Schule.«
    In dem Moment geht mir ein Licht auf.
    Sollte Fanny … Dann hat also Fanny diesen Penner in unser Haus eingeladen?
    Ich wechsele in Sekundenschnelle einen winzigen Blick mit ihr. In ihren Augen steht Panik und ein kleines »Verzeih mir, ich konnte nicht anders«. Ich

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