Herzgesteuert: Roman (German Edition)
jetzt wieder zu mir.
»Ihnen entgeht jetzt sicher ein großes Geschäft«, sagt der Penner traurig.
»Dann bringe ich Sie um!« Zornig blitze ich den armen Mann an, der unter dem Kleiderberg meines Exmannes kaum noch zu sehen ist.
»Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Davon gehe ich aus«, pariere ich messerscharf.
»Es tut mir ausgesprochen leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe.«
»Das sagten Sie bereits. Bitte gehen Sie jetzt endlich!«
Er ist ziemlich groß und schlank, aber durchaus kräftig. Einen verhungerten Eindruck macht er nicht. Auch keinen versoffenen. Von Alkohol scheint er sich nicht zu ernähren.
Dazu hat er ausgesprochen gute Manieren, und ich spüre, dass ihm die ganze Sache mindestens genauso peinlich ist wie mir. Ich fühle mich schuldig, gleichzeitig wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass er endlich geht. Mein Blick schweift durchs Schlafzimmer: Mein Bett ist überladen von Kleidern, und auf Hocker und Frisiertisch türmen sich Zeitschriften wie »Schöner Wohnen« und »Ambiente«. Dann sind da noch meine Hochglanzprospekte: »Kitzbühel. Leben im Paradies«, »Salzburg. Festspiele der Sinne. Immobilien für gehobene Ansprüche« und »Kärnten. Das Land der Träume«.
Wie mag das alles nur auf diesen mittellosen Mann wirken?
Ich muss für ihn die böse Hexe aus dem Märchen sein. Oder die kalte Königin.
Die vor lauter Reichtum schon kein Herz mehr hat.
Dabei habe ich sehr wohl ein Herz. Ein Herz für Kinder, ein Herz für Tiere, ein Herz für Männer … Nur keine Zeit halt.
Das ist der Punkt.
Ich sehe, dass er die hundert Paar Schuhe in dem offen stehenden Schuhschrank registriert und meine seidene Wäsche, die aus der Kommode quillt. Ich werde rot und schiebe die Schubladen mit der Hüfte zu.
Mist, ich hätte vielleicht aufräumen sollen. Aber woher hätte ich wissen sollen, dass ich Besuch bekomme? Ich meine, Besuch, den ich auch gleich in mein Schlafzimmer bitte?
Er scheint meine Verlegenheit zu bemerken.
»Sehr hübsch haben Sie es«, lässt er sich ungefragt vernehmen. »Sehr heimelig.«
Nicht wahr? So setzen Sie sich doch! Möchten Sie Ihren Tee mit Milch oder Zitrone? Verdammt, ich werde doch nicht weich? Ich kann jetzt keinen Small Talk machen, mein Termin wartet. Kann es sein, dass mir hier etwas ganz fürchterlich aus dem Ruder läuft?
»Was geht Sie mein Schlafzimmer an?«, zische ich gegen mein aufwallendes schlechtes Gewissen an, »sparen Sie sich Ihre Kommentare!«
»Entschuldigung.«
»Mann, hätte ich Sie doch nur nicht aus dem Kinderzimmer gelassen! Ich hätte die Polizei rufen müssen!«
»Vielen Dank, dass Sie es nicht gemacht haben. Dass …«
»Wenn Sie dann bitte endlich gehen würden?!« Auffordernd reiße ich die Haustür auf. Ein feuchtkalter Luftschwall schlägt uns entgegen. Verdammt, draußen schüttet es tatsächlich wie aus Eimern. Die Temperaturen sind schlagartig gesunken, und feuchte Nebelschwaden ziehen über die dampfenden Wiesen.
Der überladene Einkaufswagen steht ein bisschen abseits und ist schon ganz durchnässt.
Sein Problem.
Eigentlich schickt man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür. Soll ich ihn wenigstens in der Garage sitzen lassen? Ich meine, nur bis der Regen etwas nachgelassen hat?
Ich schaue schnell die Straße rauf und runter, und mein Blick streift das Küchenfenster von Christiane, wo sich gerade die Gardine bewegt.
Verdammter Mist.
Nein. Der Kerl muss sofort weg.
»Jetzt verschwinden Sie endlich«, flüstere ich, indem ich mich in die halb geöffnete Haustür zurückziehe. »Ich hab jetzt echt keine Geduld mehr!«
Laut sage ich: »Nein, wir kaufen nichts!«
Ja, das ist genial. Christiane muss denken, dass der Penner mir die Sachen verkaufen wollte! Hahaha! Ich schicke ihn mit seiner Hehlerware weg!
Dabei komme ich mir vor wie die kaltherzige Wirtin in dem Weihnachtsspiel »Herbergssuche«, in dem Fanny letztens mitgesungen hat: »Oh, zwei gar arme Leut! Was wollet Ihr!? Oh, gebt uns Herberg heut!«
»Scheren Sie sich fort«, wedele ich theatralisch mit den Armen.
Das dürfte Christiane jetzt deutlich gesehen haben.
Der Penner zieht die Schultern hoch und tritt mit seinem Kleiderhaufen in den Regen hinaus.
Aus der Manteltasche zieht er seine unvermeidliche graue Wollmütze und setzt sie sich auf den Kopf. Jetzt sieht er wieder aus wie immer.
Er dreht sich mit traurigen Augen zu mir um: »Ich möchte jetzt nicht sagen ›Auf Wiedersehen‹«, sagt er sanft. »Das würde Sie
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