Herzgesteuert: Roman (German Edition)
bescheuert ist!«
»Fanny«, sage ich freundlich, aber bestimmt. »Die dicke Mathilde tut jetzt nichts zur Sache. Dass du dem Obdachlosen helfen wolltest, ist ja schön und gut. Also ich meine, es ehrt dich sehr. Aber du wirst mir jetzt versprechen …« – ich stecke meinen mütterlichen Zeigefinger unter ihr Kinn und zwinge sie, mir in die Augen zu sehen -, »… dass du ihn nie wieder in unser Haus lässt.«
»Aber warum denn, Mama, warum ? Was hat er denn Übles getan?!«
Das ist ein Originalzitat aus der Matthäuspassion, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Fanny das nicht bewusst ist. Welch ein beschämender Zufall!
Ich komme mir vor wie der böse Pöbel, der von Pilatus ein Todesurteil für Jesus fordert. Die darauf folgende Sopranarie lautet: »Er hat uns allen wohlgetan«, und ist so ziemlich die schönste und anrührendste Stelle des ganzen Werks.
Mein Magen zieht sich zusammen, und ich fühle mich der Doppelzüngigkeit überführt. Meine ehrliche, unverdorbene Tochter nimmt mich beim Wort! Sie hält mir den Spiegel vor, in den ich zurzeit gar nicht blicken mag. Ich schäme mich und versuche mit abgedroschenen Phrasen aus dieser Nummer wieder rauszukommen.
»Schatz, man weiß nicht, ob er Läuse hat, man weiß nicht, ob er uns die Bude ausräumt, und man weiß nicht, ob er demnächst alle seine Kumpels mitbringt und die hier jeden Tag eine Orgie feiern … Wenn man solchen Leuten den kleinen Finger gibt, nehmen sie schnell die ganze Hand! Irgendwann liegen alle in deinem Bett und schnarchen.«
Dieses Argument scheint zu ziehen. In Fannys Hirn arbeitet es.
Sie senkt die Augen und sagt tonlos: »Okay, Mama, ich verspreche es.«
Erleichtert sinke ich vor ihr auf die Knie und nehme das kleinlaute Bündel in den Arm, wobei ich mir einbilde, dass es in ihren Haaren bereits lebhaft krabbelt.
»Großes Fanny-Ehrenwort?«, hake ich nach.
»Großes Fanny-Ehrenwort.«
»Dann können wir ja jetzt deine Zwei in Mathe feiern«, beende ich die Diskussion. »Du ahnst ja nicht, wie stolz ich auf dich bin!«
Am nächsten Morgen hat Fanny es überraschend eilig, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Sie macht erst gar keinen Versuch, mich zu überreden, sie mit dem Auto zu bringen. Wesentlich pünktlicher als sonst greift sie erst nach ihrem Gurkenbrot und dann nach ihrem Fahrradhelm, anschließend radelt sie von dannen.
Hat sie ein … Date mit ihm ?
Mit mütterlicher Besorgnis stehe ich am Küchenfenster und drücke meine erhitzte Stirn gegen dasselbe, als mir einfällt, dass ich ja ein Date mit ihm habe!
Ach du liebe Zeit!
Ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden und ihm bei Androhung von Polizei verbieten , jemals wieder ein Wort mit meiner Tochter zu sprechen.
Er muss sich eine andere Bank suchen. Eine, die nicht auf dem Schulweg meiner Tochter liegt. Also nicht, dass ich was gegen diesen Mann hätte, aber …
Nein. Wir wünschen keinerlei weiteren Kontakt.
Nervös kratze ich mich am Kopf: »Ich werde ihm Grenzen setzen, jawohl. Nicht dass er Grund hat, hier noch mal aufzutauchen«, schnaufe ich. »Sein Hab und Gut bekommt er tadellos zurück, das habe ich ihm gestern zugesagt. Aber dann ist mein Teil unserer Abmachung eingehalten. Und er wird sich an seinen halten. Dann gibt es nichts mehr, was uns verbindet.«
Hastig mache ich mich daran, seine Sachen zu bügeln. Dabei schüttele ich über mich selbst den Kopf. Bin ich blöd oder was?
Ich bügele nie! Für keinen Mann der Welt! Das ist einer meiner eisernen Grundsätze, den ich soeben aus völlig unerfindlichen Gründen breche! Warum bügele ich das zerfranste, ausgeleierte Zeug von einem wildfremden (na gut, wir haben uns nackt gesehen, aber was tut das schon zur Sache!), halb kriminellen Eindringling!
»Juliane, lass das sein!«, rufe ich mich selbst zur Ordnung.
»Wenn du ihm die Sachen hübsch gebügelt und gefaltet zu seiner Bank bringst, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn er morgen wieder unter deiner Dusche steht. Du ziehst ihn ja förmlich an wie … Motten das Licht!«
Sofort fällt mir ein Lied von Marlene Dietrich ein, das ich inbrünstig singe: »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, ja das ist meine Welt und sonst gar nichts!« Nanu, was singe ich denn da. Bin ich jetzt völlig durchgeknallt oder was?
Komischerweise kann ich nicht aufhören zu bügeln. So muss sich eine Mutter fühlen, die um Mitternacht für ihren zwanzigjährigen Sohn, der Chips essend vor dem Fernseher lümmelt, seine 200 Golfklamotten
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