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Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Titel: Herzgesteuert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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als ich dich zum ersten Mal sah und keiner hinter dir in der Schlange stehen wollte, hatte ich auch gerade noch das Letzte erwischt, denke ich. Und ich hatte eine irre Wut auf dich, weil ich meinen Termin verpasste und mir das grauenvolle Geschwätz dieser Spießer anhören musste. Und seitdem habe ich schon so einige Termine wegen dir verpasst … ich könnte dich umbringen, Mann!
    »Fanny sagt, sie muss davon pupsen«, erklärt mir der Penner ganz sachlich. »Und das ist ihr peinlich im Unterricht.«
    Ich starre ihn mit offenem Mund an. »Das erzählt Ihnen Fanny?«
    »Ja, unter anderem.« Der Penner guckt mich geduldig an.
    »Was denn noch?«, frage ich leicht errötend.
    »Na ja, sie hatte im Frühling ziemliche Probleme mit Mathe«, nimmt er den Faden auf, »und der Rottweiler hat ihr gedroht, dass sie sitzen bleibt. Da hat sie Panik bekommen. Aber niemand konnte ihr diesen Geometrie-Kram erklären.«
    »Aber Sie!«, höhne ich und möchte mir im gleichen Moment die Zungenspitze abbeißen.
    »Ja, und nachdem ich Zeit habe und sie vor und nach der Schule immer kam, um mir was zu bringen, habe ich mir überlegt, wie ich mich bei ihr revanchieren kann. Also habe ich ihr das Pensum erklärt. Dreiecke, Quadrate, Parallelogramme und rechte Winkel und so. Anfangs habe ich sie noch mit dem Stock in den Sand gemalt und später dann mit Bleistift, Zirkel und Geodreieck ins Heft. Auch Prozentrechnung, Zinsen und Zinseszins bin ich mit ihr durchgegangen, der ganze Stoff ist mir noch sehr geläufig.«
    Da bin ich aber platt.
    Wieso kann der Penner Mathe? Hat der etwa Abitur? Womöglich hat er sogar studiert und einen Doktor der Philosophie?
    »Das ist ja unglaublich!« Ich trommele mit den Fingerspitzen auf meine Handtasche, die ich die ganze Zeit umklammere, als wollte er sie mir entreißen.
    »Danach hat sie eine Zwei geschrieben und noch eine freiwillige mündliche Prüfung hingelegt! Sie hat die ganze Sache mit den Trapezen, Deltoiden und Flächenberechnungen mithilfe der Höhe h und der Seite a voll gecheckt. A ist nämlich a mal h durch zwei. So einfach ist das.«
    Jetzt bin ich aber mit Feuereifer dabei.
    »Aber bei stumpfwinkligen Dreiecken geht das nicht«, ereifere ich mich. »Wie soll man denn da die Höhe h errechnen? Damit habe ich mir eine ganze Nacht um die Ohren gehauen!«
    »Das geht ganz einfach«, sagt der Penner schmunzelnd. »Ist das Dreieck stumpfwinklig, gilt dieselbe Flächenformel. Weil die Höhe h außerhalb des Dreieckes liegt, müssen Sie nur die Dreiecksfläche subtrahieren, die Sie sich quasi als Hilfsfläche dazu gezeichnet haben.« Er malt mit dem Zeigefinger, der aus seinem löchrigen Handschuh schaut, ein paar stumpfwinklige Schlieren auf das Autofenster, das inzwischen längst wieder beschlagen ist.
    Plötzlich wird mir die Sache klar.
    »Ach, so wird ein Schuh draus! Da liegt der rechte Winkel außerhalb des Dreiecks, und die Formel A gleich a mal h durch zwei gilt immer noch!«
    Ohne recht fassen zu können, was ich da tue, zeichne ich auf der Scheibe den rechten Winkel ein, und er freut sich, dass ich es schnalle.
    »Da hätte ich ja auch selber draufkommen können.« Ich schlage mir mit der flachen Hand vor die Stirn. »Wie einfach das Ganze auf einmal ist! Warum erklärt das denn der Rottweiler nicht? Aber wie funktioniert dann die Aufgabe mit dem Fernseher? An der habe ich mir die Zähne ausgebissen!«
    »Sie meinen die mit der Diagonale?«
    »Ja, genau«, rede ich mich in Rage. »Das Verhältnis zwischen Breite und Höhe ist 4:3. Wie soll ich Breite und Höhe errechnen, wenn ich nur weiß, dass die Diagonale des Bildschirmes 67 Zentimeter ist? Der Mann hat mich nächtelang um meinen Schlaf gebracht!«
    »Mithilfe des Pythagoras! Die Diagonale ist die Hypotenuse, deren Länge uns bekannt ist. Wir nehmen sie zum Quadrat, dann haben wir die Maße der Katheten. Anschließend müssen wir dann nur noch die Wurzel ziehen. Das Ganze machen wir einmal für die Länge und einmal für die Breite. Die meisten Lehrer sind für ihren Beruf leider ungeeignet«, sagt der Penner. »Sie können sich nicht in unlogisch denkende Menschen hineinversetzen. Schauen Sie …«
    Wahrscheinlich sollte ich ihm fünfzehn Euro pro Stunde zahlen und nicht nur ab und an ein aufgeweichtes Gurkenbrot.
    Plötzlich durchzuckt mich ein völlig aberwitziger, übermütiger Gedanke.
    Vielleicht möchte der Herr einziehen bei uns?
    Wir könnten ihm doch das Gästezimmer nett herrichten?
    Christiane würde auf der Stelle tot

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