Herzgrab: Thriller (German Edition)
Hauptgebäude. Die beiden schritten gemächlich auf sie zu.
Schlagartig verspannte sich Cristina beim Anblick der Frau. Instinktiv machte sie sich kleiner. Bestimmt handelte es sich um die Hausherrin, ihre Schwiegermutter. Gerink schätzte die Dame auf etwa siebzig Jahre. Ihm kam das Wort anmutig in den Sinn. Besser ließ sich die Frau nicht beschreiben. Ihr graues Haar war zu einem Knoten hochgesteckt. Sie war schlank, trug einen eleganten Hosenanzug, eine braune Stola und Riemenstöckelschuhe, die sie um eine Handbreit größer machten. Das Mädchen an ihrer Seite mit den langen schwarzen Haaren und den Kulleraugen war etwa fünfzehn Jahre alt.
» Zenobia Del Vecchio … Polizia di Vienna « , stellte Cristina sie vor und machte einen Schritt zurück.
Sie reichten sich die Hände. Zenobias knöcherner Handrücken war von Altersflecken überzogen. Armreifen klimperten an ihrem Gelenk. Der harte Druck überraschte Gerink etwas. Dabei lächelte die Hausherrin graziös. Früher musste sie eine Schönheit gewesen sein mit den schmalen Lippen, hohen Wangenknochen und erhabenen Gesichtszügen.
» Ich heiße Sie auf meinem Land herzlich willkommen « , sagte sie in fehlerfreiem Deutsch. Ihre Stimme klang tief und bestimmt. Dabei strich sie dem Mädchen an ihrer Seite übers Haar. » Nicola, meine Enkeltochter. «
Das Mädchen machte einen Knicks. Von dem Stammbaum, den Gerink gezeichnet hatte, wusste er, dass Nicola Matteos Tochter war.
Scatozza sah auf die Uhr. » Darf ich Ihre Toilette benutzen, bevor wir gehen? « , fragte er.
Bevor wir gehen? Gerink konnte es nicht fassen. Er war hier noch lange nicht fertig.
Zenobia hob die Augenbrauen. Ihre kalten rauchgrauen Pupillen fixierten Scatozza. Schließlich nickte sie knapp. » Nicola zeigt Ihnen den Weg. «
Gerink sah ihnen nach. » Ein nettes Mädchen « , kommentierte er.
» Die Tochter meines Sohnes Matteo. Sie spielt Klavier wie eine Elfe, Geige wie ein Engel und ist die Beste im Ballettunterricht. «
Armes Mädchen, dachte Gerink. » Mein aufrichtiges Beileid zum Verlust Ihrer Söhne … « , sagte er schließlich und verstummte mitten im Satz.
Zenobia warf Cristina einen vernichtenden Blick zu. Im nächsten Moment hob sie würdevoll den Kopf, als wäre sie Gerink haushoch überlegen. » Ich hoffe, Sie haben alles gesehen, und wir konnten Ihre Neugierde befriedigen. «
Von wegen, dachte Gerink. » Was befindet sich im Angestelltengebäude? «
» Angestellte. « Zenobia lächelte knapp. » Wie Sie sehen, werden die Hunde nervös. Sie sind fremde Besucher nicht gewohnt. «
Aber Dutzende Besucher bei der Trauerfeier schienen kein Problem darzustellen. » Darf ich einen Blick hineinwerfen? «
» Ich danke Ihnen für Ihren Besuch « , antwortete Zenobia.
Gerink war bisher nur selten so geflissentlich ignoriert worden. Er blickte zu dem Mann im dunklen Anzug, dann fixierte er Zenobia. » Wovor fürchten Sie sich? «
» Sie müssen sich um uns keine Sorgen machen « , sagte Zenobia rasch, bevor er noch mehr Fragen stellen konnte. » Sobald Ihr Kollege zurück ist, wird Cristina Sie nach draußen begleiten. Fahren Sie vorsichtig. In den Bergen wird es rasch dunkel. « Sie reichte Gerink die Hand. » Danke für Ihren Besuch und … leben Sie wohl. «
Das war der charmanteste Rauswurf, den er bisher erlebt hatte.
Sie wandte sich um und ging ins Haus zurück. Hinter ihr wehte die Stola wie ein Cape in der leichten Abendbrise.
Als Gerink und Scatozza den Pajero erreichten, zeigte sich ein letzter orangefarbener Streifen am Horizont. Es begann tatsächlich rasch zu dunkeln.
Kaum saß Scatozza im Wagen, ließ er auch schon den Laptop piepend hochfahren. Er blickte zur Uhr am Armaturenbrett. » Scheiße, nur noch eine halbe Minute. «
Gerink startete den Wagen und lenkte ihn auf der Bergstraße zurück nach Florenz.
» Komm schon, komm schon … « , drängte Scatozza.
Gerink sagte nichts. Er schaltete die Scheinwerfer ein und konzentrierte sich auf die Straße. Neben ihm surrte der Computer. Schließlich erklang der Windows-Sound.
» Die verheimlichen doch was … « , sinnierte Gerink.
» Nicht jetzt! «
» Ich frage mich, warum sowohl die Carabinieri als auch die Familienmitglieder keinen Wert auf unsere Hilfe legen. «
» Auf unsere Hilfe würde ich auch keinen Wert legen. Boah, das war knapp … « Scatozza schnippte mit den Fingern. » Was für ein Schnäppchen! «
» Freut mich, dass du wenigstens hier ein Erfolgserlebnis hattest, nachdem deine
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