Herzgrab: Thriller (German Edition)
bitte! «
Anfänglich hatte diese Frau einen gefestigten Eindruck auf ihn gemacht, der jedoch zusehends verblasste. Gerink versuc hte, sich in ihre Lage zu versetzen. Ihr Mann war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und die Tochter lebte bei ihrer Schwiegermutter. Vermutlich diente ihr Auftritt mit dem teuren Kleid, dem Schmuck und dem perfekten Make-up nur dazu, ihr trauriges Innenleben zu kaschieren.
» Arbeiten Sie mit uns zusammen, Signora « , bat Gerink. » Lassen … « Sein Handy läutete. Er griff in die Tasche und wies den Anruf ab. » Lassen Sie uns über Ihren Mann reden, vielleicht … «
» No … « Sie wechselte ins Italienische und spie Scatozza etwas ins Gesicht, worauf dieser die Hand vom Holzrahmen nahm und zuließ, dass sie die Tür zuknallte.
» Verflucht! « , entfuhr es Gerink. » Was hat sie gesagt? «
» Ihr Mann hat bekommen, was er verdient hat. Nun ist er tot. Wir sollen ihn ruhen lassen. «
Gerink dachte an Nicolas Nachricht.
Antworten finden Sie in der Familiengruft.
Offensichtlich waren sich Mutter und Tochter nicht ganz einig. Er zog das Handy aus der Tasche und blickte aufs Display. Elena hatte angerufen.
34
Der Anblick des etwa sechzigjährigen Mannes mit der grauen Stoppelfrisur war erschreckend – die aufgerissenen Augen und die angeschwollene Zunge, die schwarzblau gefärbt aus dem Mund hing. Er roch nach Knoblauch, Magensäure und Fäkalien. Darm und Blase des Mannes hatten sich entleert.
Zudem zierte eine kleine Schwellung seine Schläfe, als hätte er erst kürzlich einen Faustschlag erhalten. Diese Stelle war bestimmt nicht zufällig gewählt worden, denn hier lag das sensitive Nervenzentrum, und der Schädelknochen war besonders dünn. Elena hatte eine Verletzung dieses Nervenpunkts schon einmal gesehen. Sie musste an den Stasi-Arsch denken, der ihr im Treppenhaus des Versteigerungshauses ebenfalls einen Schlag gegen die Schläfe hatte versetzen wollen.
Denk nicht an den Mistkerl! Konzentrier dich auf den Erhängten!
Sie schüttelte den Gedanken ab. Die Hornhaut des Mannes war schon getrübt, Kot und Urin waren bereits eingetrocknet. Er war seit mindestens fünfundvierzig Minuten tot. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und schob mit dem Kunststoffbügel den Hemdsärmel des Toten nach oben. An den Handgelenken hingen helle Seilfasern. Die Haut war gerötet und abgeschürft. Keine typische Verletzung eines Tischlers. Der Tod war langsam eingetreten – nicht durch Genickbruch, sondern durch die Blutleere im Gehirn. Der Strick hatte ihm Venen und Arterien am Hals abgeklemmt. Vadini hatte noch lange gezappelt und im Todeskampf mit den gefesselten Händen gegen das gusseiserne Treppengeländer geschlagen, bis sein Gehirn schließlich keinen Sauerstoff mehr bekam und kollabierte.
» Soll ich die Polizei verständigen? « , rief Monica von unten herauf.
» Noch nicht. « Elena betastete mit dem Brillenbügel die Gesäßtaschen des Toten und die Brusttaschen seines Hemdes. Leer. Danach kletterte sie über die Treppe in die Turmkuppel. Wie vermutet fehlten Lampe, Spiegel und Drehvorrichtung. Der Leuchtturm besaß nur noch historischen Wert. Trotzdem hatte Vadini die Treppe mit der Holzbalustrade renovieren sollen. Zahlreiche Holzbohlen lehnten an der Glaskuppel. Ein Werkzeugkoffer mit Sägeblättern und Schleifpapier stand auf dem Boden.
Vorsichtig, um keine Spuren zu verwischen, sah Elena sich um. Neben einer Thermoskanne, die auf dem mit Sägespänen bedeckten Boden stand, und einem zur Hälfte gegessenen Schinkenbrot in einer Papierserviette lagen eine Brieftasche und ein Schlüsselbund. Sie schob den Brillenbügel in das Lederetui und klappte es auf. In den Fächern steckten eine Telefonwertkarte, der Mitgliedsausweis einer Biblioteca und einige Fotos von Jungs und Mädchen … Sie hoffte, dass die von seinen Enkelkindern waren.
» Was machen Sie so lange dort oben? «
» Ich komme gleich runter! « Die Plastikkarten lauteten auf einen gewissen G. Vadini. Doch das genügte Elena nicht. Sie suchte nach etwas Bestimmten. Schließlich fand sie im nächsten Seitenfach des Portemonnaies einen Personalausweis. Sie bog die Seite um. Da stand die Adresse. Via Gino 38.
» Ich komme! «
Sie steckte sich die Sonnenbrille ins Haar und lief die Treppe hinunter.
Monica lehnte kreidebleich wie der Verputz an der Mauer und spähte nach oben. » Ist das Vadini? «
» Ja, er ist noch nicht lange tot. « Elena berührte Monica am Kinn und drehte ihren Kopf zu sich. Sie sah
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