Herzgrab: Thriller (German Edition)
ihr in die Augen. » Ich brauche jetzt Ihre Hilfe. «
Monicas Augenlider flatterten. » Ich gehe da nicht rauf! «
» Müssen Sie nicht. « Elena deutete auf Monicas Handy in deren Jeans. » Rufen Sie die Polizei an. Warten Sie, bis die Beamten eintreffen. Erklären Sie ihnen, dass Sie bloß zum Turm raufgehen wollten, um Fotos vom Strand zu schießen. Dabei haben Sie die Leiche entdeckt. «
» Aber ich habe keine Kamera. «
» Ihr Handy kann bestimmt fotografieren, aber danach wird Sie niemand fragen. «
Monicas Stimme zitterte. » Und was machen Sie in der Zwischenzeit? «
» Ich werfe einen Blick in Vadinis Haus. «
» Wir wissen ja gar nicht, wo er wohnt! «
» Doch. «
» Aber wozu? «
Je weniger Monica wusste, desto besser. Elena atmete tief durch. » Ein Mann, der mit einer vollen Thermoskanne, einem angebissenen Schinkenbrot und einem begonnenen Roman in der Tasche seinen Arbeitsplatz betritt, ist nicht gerade der typische Selbstmörder. «
Elena verschwieg die Fesselspuren an den Handgelenken und den Schlag gegen den Schläfenpunkt, der – wenn er präzise ausgeführt wurde – zur sofortigen Bewusstlosigkeit führte. » Schaffen Sie das? « , drängte sie.
Monica nickte.
» Danke. « Elena schlüpfte durch die Tür ins Freie.
Elena lief die in den Fels gehauene schmale Gasse zum Ort hinunter . Am Strand wurden soeben einige Sonnenschirme zusammengeklappt, und ein Junge schleppte Liegestühle durch den Sand zu einer Hütte. Sie eilte unter einem Torbogen hindurch und an einer bunten Häuserfassade entlang. Von den Balkonen hingen Kleidungsstücke. Wasser tropfte von den Topfpflanzen. Da traf sie auf die spielenden Kinder.
» Via Gino? « , keuchte sie.
Die Buben hielten in ihrem Spiel inne. Einer mit blonder Stoppelfrisur, dessen Gesicht mit Sommersprossen übersät war, kam auf sie zu. Der Knabe hatte die gleichen strahlenden Augen wie Peter – und einen charmanten Blick, dem man nichts abschlagen konnte.
» Via Gino? « , wiederholte Elena.
Der Junge sah sie an, dann warf er einen scheuen Blick auf die Kappe, die aus der Gesäßtasche ihrer Jeans baumelte.
Elena nahm die Schirmmütze und beulte sie aus. » Gefällt sie dir? Ich schenke sie dir. «
Der Junge verstand kein Wort. Elena setzt ihm die Kappe auf. Schwarzer Stoff mit dem orangefarbenen Harley- Davidson -Emblem. Die Mütze war ihm viel zu groß und verdeckte seine Ohren und die Hälfte des Gesichts. Trotzdem grinste er breit und zeigte seine strahlend weißen Zähne.
Elena hob den Daumen. » Sieht klasse aus! «
Schließlich deutete er zu einer Gasse mit Eisengeländer, die an einem Steilhang entlang nach oben verlief. Auf der Bergseite drängte sich ein Haus neben dem anderen.
» Grazie. «
Elena gab dem Jungen einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und eilte weiter. Endlich fand sie ein Straßenschild – Via Gino.
Sie suchte das Haus mit der numero 38. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie zwei Carabinieri in schwarzen Uniformen zum Leuchtturm liefen. Das ging ja ruck, zuck. Ihr blieb nicht viel Zeit. Vadinis Haus lag am Ende der Gasse. Eine kleine Unterkunft, aus Naturstein erbaut, mit bemooster Gartenmauer und einem Taubenschlag auf dem Dach. Unter dem Torbogen hingen Knoblauchzöpfe, Kräuterbüschel und Maiskolben.
Elena klopfte an. Nichts rührte sich. Sie zog ihr Etui hervor und öffnete die Tür mit dem Dietrich aus ihrem Pick-Set. Der süße Duft von Bienenwachs schlug ihr entgegen, aber ebenso der Geruch von Weihrauch. Er erinnerte sie an die zahlreichen langweiligen Kirchenbesuche in Warschau. Im Wohnzimmer standen eine zerschlissene Couch, eine Stehlampe und eine Kommode mit einem Radiogerät. Kein Fernsehapparat. Stattdessen hing ein Bücherregal an der Wand mit Romanen von Coelho, Allende oder Ruiz Zafón. Insgesamt schwermütige Literatur, die aber nicht unbedingt auf Depression oder Selbstmord hindeuten würde. Außerdem war Vadini Katholik gewesen. In einem kleinen vergoldeten Schrein mit einer Marienstatue stand ein gerahmtes Foto. Paola, 1948 – 2004. Daneben ragten die Stummel von zwei niedergebrannten Räucherstäbchen aus einem Stein. Vermutlich handelte es sich bei Paola um Vadinis verstorbene Frau. Elena war sicher, der Tischler hatte keinen Selbstmord verübt. Er würde damit als gläubiger Christ riskieren, im Fegefeuer zu landen und seine Paola nie wiederzusehen. Und falls doch, hätte er es vermutlich schon 2004 getan.
Als Elena aufgebrachte Stimmen hörte und mehrere Männer an dem
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