Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch
dessen Mutter … du weißt schon.«
Es geht ihr nicht gut. Gebärmutterhalskrebs. Stadium 2B. Ein fortgeschrittenes Stadium.
Wörter, die ich niemals in Bezug auf einen von mir geliebten Menschen hören möchte – externe Strahlentherapie, Chemotherapie –, gehören nun zu St. Clairs Alltag. Susan, seine Mutter, hat eine Woche nach Halloween mit der Behandlung begonnen. Sein Vater ist in Kalifornien und fährt sie an fünf Tagen in der Woche zur Strahlentherapie und einmal in der Woche zur Chemo.
St. Clair ist hier.
Ich könnte seinen Vater umbringen. Seine Eltern leben seit Jahren getrennt, aber sein Vater willigt nicht in die Scheidung ein. Und er hat mehrere Geliebte in Paris und London, während Susan allein in San Francisco lebt. Alle paar Monate fliegt sein Vater zu ihr. Bleibt ein paar Nächte. Erneuert seine Herrschaft über sie oder was immer er sonst über sie hat. Und dann reist er wieder ab.
Aber er ist es jetzt, der auf sie aufpasst, während St. Clair zehntausend Kilometer entfernt leidet. Ich finde die ganze Situation so furchtbar, dass ich kaum darüber nachdenken kann. St. Clair ist seit ein paar Wochen nicht mehr er selbst. Er schwänzt die Schule und seine Noten werden immer schlechter. Er kommt nicht mehr zum Frühstück und isst jeden Abend mit Ellie. Abgesehen vom Unterricht und vom Mittagessen, wenn er still und teilnahmslos neben mir sitzt, sehe ich ihn nur noch an manchen Tagen morgens, wenn ich ihn zur Schule wecke.
Meredith und ich wechseln uns ab. Wenn wir nicht an seine Tür hämmern, kommt er überhaupt nicht.
Die Tür der Pâtisserie öffnet sich und ein eisiger Wind weht in den Laden. Der Kronleuchter wackelt wie Gelatine. »Ich fühle mich so hilflos«, sage ich. »Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.«
Mer schaudert und reibt sich die Arme. Ihre Ringe sind heute aus reinem Glas. Sie sehen aus wie Zuckerwatte. »Ich weiß. Ich auch. Und ich kann immer noch nicht fassen, dass sein Vater ihm nicht erlaubt, sie an Thanksgiving zu besuchen.«
»Was?« Ich bin schockiert. »Wieso das denn?« Und wieso weiß Mer davon und ich nicht?
»Weil sein Vater gehört hat, dass seine Noten schlechter werden. Josh hat mir erzählt, dass die Direktorin St. Clairs Vater angerufen hat, weil sie sich seinetwegen Sorgen gemacht hat. Und anstatt ihn nach Hause fliegen zu lassen, hat er gesagt, St. Clair darf erst dann wieder hin, wenn er sich wieder ›wie ein vernünftiger Mensch benimmt‹.«
»Aber wie soll er sich denn auf irgendetwas konzentrieren, solange er sie nicht gesehen hat? Außerdem braucht sie ihn dort, sie braucht seine Unterstützung. Sie sollten zusammen sein!«
»Das ist so typisch für seinen Vater, so eine Situation gegen ihn zu verwenden.«
Wieder überkommt mich eine nagende Neugier. »Hast du ihn jemals kennengelernt? Seinen Vater?« Ich weiß, dass er in der Nähe der SOAP wohnt, ich habe ihn aber noch nie gesehen. Und St. Clair besitzt sicher kein gerahmtes Bild von ihm.
»Ja«, sagt sie vorsichtig. »Hab ich.«
»Und?«
»Er war … nett.«
» NETT ? Wie kann er nett sein? Der Mann ist ein Mistkerl!«
»Ich weiß, ich weiß, aber wenn man ihm persönlich begegnet, hat er einfach diese … tadellosen Manieren. Lächelt ganz viel. Sieht ziemlich gut aus.« Sie wechselt plötzlich das Thema. »Glaubst du, Josh hat einen schlechten Einfluss auf St. Clair?«
»Josh? Nein. Ich meine, vielleicht. Keine Ahnung. Nein.« Ich schüttle den Kopf. Die Schlange bewegt sich einige Zentimeter vorwärts. Fast können wir den Glaskasten sehen. Ich kann ein winziges Stück vom goldenen Apfelkuchen, tarte Tatin , erkennen. Und den Rand einer glänzenden Schokoladen-Himbeer-Torte, gâteau .
Zuerst fand ich für meinen Geschmack alles ein wenig zu überkandidelt, aber nach drei Monaten in Paris verstehe ich, warum die Franzosen für ihre Küche berühmt sind. Mahlzeiten werden hier genossen. Restaurantbesuche werden in Stunden und nicht in Minuten gemessen. Es ist so anders als in Amerika. Die Pariser spazieren jeden Tag auf den Markt, um das reifste Obst und Gemüse einzukaufen, und besuchen regelmäßig Fachgeschäfte für Käse, Fisch, Fleisch und Wein. Und Kuchen.
Mir gefallen die Konditoreien am besten.
»Ich hab nur das Gefühl, Josh redet ihm ein, dass es in Ordnung ist, wenn einem alles egal ist«, beharrt Mer. »Ich muss immer die Böse spielen. ›Steh auf. Geh zur Schule. Mach deine Hausaufgaben.‹ Verstehst du? Während Josh bloß sagt: ›Scheiß doch
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