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Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch

Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch

Titel: Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Perkins
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habe gespürt, dass er es ernst gemeint hat, aber wie soll ich über die Tatsache hinwegsehen, dass er dabei betrunken war? Sturzbetrunken, hackedicht und voll bis an den Rand. Und so gern ich ihn auch sehen und mich mit eigenen Augen vergewissern möchte, dass er noch unter den Lebenden ist – ich weiß gar nicht, was ich sagen würde. Würden wir darüber reden? Oder sollte ich so tun, als wäre es nie passiert?
    Was er jetzt braucht, ist Freundschaft und kein Beziehungsdrama. Deshalb ist es echt blöd, dass es mir jetzt so viel schwerer fällt, mir einzureden, dass ich mich durch St. Clairs Aufmerksamkeit nicht geschmeichelt fühle.
    Gegen Mitternacht ruft Toph an. Wir haben schon seit Wochen nicht miteinander telefoniert, aber hier war so viel los, dass ich die ganze Zeit nicht daran gedacht habe. Ich will nur noch ins Bett. Es ist zu verwirrend. Alles ist einfach zu verwirrend.
    St. Clair war auch beim Frühstück nicht da. Und ich rechne eigentlich nicht damit, dass er heute zum Unterricht kommt (wer könnte es ihm schon verübeln, wenn er schwänzt?), doch dann taucht er in Englisch auf, wenn auch eine Viertelstunde zu spät. Ich fürchte schon, dass ihn Professeur Cole anbrüllen wird, aber anscheinend sind die Lehrer über seine Situation informiert worden, denn sie sagt keinen Ton. Sie sieht ihn nur mitleidig an und fährt schnell mit dem Unterricht fort. »Warum interessieren sich Amerikaner also nicht für übersetzte Romane? Warum erscheinen jedes Jahr so wenig ausländische Werke auf Englisch?«
    Ich versuche, St. Clairs Blick aufzufangen, aber er starrt unentwegt auf sein Exemplar von Balzac und die kleine chinesische Schneiderin . Oder besser gesagt, er starrt hindurch. Er sieht blass aus, fast durchsichtig.
    »Nun ja«, spricht sie weiter. »Es wird häufig gesagt, dass unsere Kultur nur an augenblicklicher Befriedigung interessiert ist. Fast Food. Selbstbedienungskassen. Musik, Filme und Bücher zum Downloaden. Instantkaffee, Kurznachrichten. Sofortrabatte, Schnelldiät. Soll ich weitermachen?«
    Die Klasse lacht, aber St. Clair bleibt still. Ich beobachte ihn nervös. Kurze Bartstoppel verdunkeln sein Gesicht. Ich wusste gar nicht, dass er sich so oft rasieren muss.
    »Ausländische Romane sind weniger handlungsorientiert. Sie haben ein langsameres Tempo und reflektieren mehr. Sie fordern uns heraus, nach der Geschichte zu suchen, nach der Geschichte in der Geschichte. Nehmen wir Balzac . Wessen Geschichte ist das? Die des Erzählers? Die der kleinen Schneiderin? Chinas?«
    Am liebsten hätte ich die Hand ausgestreckt, St. Clairs Hand gedrückt und ihm gesagt, dass alles gut wird. Er sollte nicht hier sein. Ich kann mir nicht vorstellen, was ich in seiner Situation machen würde. Sein Dad hätte ihn aus der Schule nehmen sollen. Er sollte in Kalifornien sein.
    Professeur Cole tippt auf das Buchcover. »Dai Sijie, geboren und aufgewachsen in China. Nach Frankreich gezogen. Er hat Balzac auf Französisch geschrieben, aber die Geschichte spielt in seiner Heimat. Und dann wurde sie ins Englische übersetzt. Wie viele Schritte sind das also bis zu uns? Ist es nur einer, vom Französischen ins Englische? Oder zählen wir die erste Übersetzung, die der Autor in Gedanken gemacht hat, vom Chinesischen ins Französische, auch mit? Was verlieren wir jedes Mal, wenn die Geschichte neu interpretiert wird?«
    Ich höre ihr nur mit einem Ohr zu. Nach dem Kurs gehen Meredith, Rashmi und ich schweigend mit St. Clair zu Analysis und tauschen besorgte Blicke, wenn er gerade nicht hinsieht. Wobei er wahrscheinlich sowieso weiß, dass wir es tun. Was es für mich noch schlimmer macht.
    Meine Vermutung in Bezug auf die Lehrer bestätigt sich, als Professeur Babineaux St. Clair vor dem Kurs zur Seite nimmt. Ich bekomme nicht das ganze Gespräch mit, höre den Professor aber fragen, ob St. Clair die Stunde nicht lieber im Krankenzimmer verbringen möchte. St. Clair ist einverstanden. Kaum ist er weg, steht Amanda Spitterton-Watts vor mir.
    »Was ist mit St. Clair ?«
    »Nichts.« Als ob ich ihr das verraten würde.
    Sie wirft ihr Haar zurück und ich stelle zufrieden fest, dass eine Strähne an ihrem Lipgloss kleben bleibt. »Steve hat nämlich erzählt, St. Clair und Josh wären am Samstagabend total dicht gewesen. Er hat sie über die Halloweenparty torkeln sehen und St. Clair ist total ausgeflippt wegen seinem Dad.«
    »Dann hat er sich wohl verhört.«
    »Steve hat gesagt, St. Clair wollte seinen Vater umbringen

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