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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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bekommt man eine Karte, einen Kompass und ein Blatt mit Hinweisen. Mit diesen Hilfsmitteln muss man feststellen, wo man ist. Ganz einfach. Und dann muss man anhand der Hinweise den Weg von A nach B finden. Dort befindet sich eine weitere Hütte, man wird herzlich begrüßt, bekommt ein Stück Kuchen, und alle sind zufrieden mit sich und der Welt. Wirklich einfach. Orientieren macht Spaß.
    Zehn nach sechs. Nein, macht es nicht. Es nervt. Nein, das stimmt so auch nicht. Nicht das Orientieren nervt, sondern wir zwei, Russell und ich. Nick ist nicht besonders hilfreich, macht sich Notizen auf einem kleinen Block und trägt, wie ich zugeben muss, zu meiner Desorientierung bei. Auf jeden Fall ist es mittlerweile ziemlich spät, und wir haben die Liste mit den Hinweisen noch nicht einmal zur Hälfte durchgearbeitet. Außerdem ich habe von Russell die Schnauze voll.
    Szene 1. Irgendwo in South Wales. Auftritt Russell, Bühne links.
    »Sal, du irrst dich. Dort ist der Reitweg. Der einzige Reitweg. Das muss so sein.«
    Russells Tonfall klang ziemlich nörgelnd, fiel mir auf. Ich sah, wie er Nick einen hilfesuchenden Blick zuwarf.
    »Russell«, versuchte ich es erneut. »Das kann nicht sein. Bestimmt liest du den Kompass falsch …«
    »Ich lese den Kompass nicht falsch, Sally.«
    Er korrigierte mich. Zeigte aggressive Eigenschaften.
    »Hör mal«, begann ich wieder. Sein herablassender Ton und Nicks hartnäckige Weigerung, die Führung zu übernehmen und ihm den Kompass abzunehmen, irritierte mich zunehmend. Das stand so bestimmt in seinen blöden Teambildungsrichtlinien. Die Pfadfinderin in mir hatte sich längst verabschiedet. Ich war müde, erschöpft und brauchte eine Toilette. Ich hatte keine Lust, weiter in der falschen Richtung durchs Unterholz zu kriechen. Ich brauchte festen Boden unter den Füßen und zwar bald. »Die Sache ist die«, fuhr ich fort, »wenn du dieser Linie nach Nordwesten folgst, dann gelangst du an einen Punkt, wo viele andere Linien zu einem Kreis zusammenkommen. Siehst du? Das bedeutet, da ist ein Hügel.« Ich hielt ihm die Karte unter die Nase. »Ein steiler Hügel. Jetzt sieh mal hierhin. Da ist kein Hügel. Es müsste aber einer zu sehen sein. Also kann das nicht Nordwesten sein, oder? Der Hügel ist da drüben.«
    Vorausgesetzt, wir standen da, wo wir glaubten zu stehen, was in diesem Stadium nicht mehr so ganz sicher war. In dieser öden Mondlandschaft war gar nichts sicher. Wo ich herkam, gab es Land und Meer. Auf dem Land gab es süß duftende Kräuter, Picknickplätze und Kühe. Am Meer gab es Kiesel, Strandpromenaden und Pommes frites. Hier jedoch gab es nichts von alledem, vor allem keine Frittenbuden.
    Russell trat von einem Fuß auf den anderen und musterte finster den Kompass. Nick spielte mit seinem Handy herum.
    »Vielleicht sollten wir in die von Sally vorgeschlagene Richtung gehen, Russell«, schlug er vor. Anscheinend hatte er beschlossen, seine gelangweilte Haltung aufzugeben, damit etwas Konstruktiveres passierte. »Zumindest haben wir oben auf dem Hügel die Chance, ein Netz zu bekommen. Ich meine, das mit dem Reitweg verstehe ich, aber da es in etwa einer Stunde dunkel wird, können wir bald sowieso nichts mehr sehen. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass wir ohne Handynetz aufgeschmissen sind. Was meinst du?«
    »Ja, ich verstehe, wie du das meinst, Nick«, sagte Russell in einem völlig anderen Tonfall. Jetzt klang er eher kumpelhaft, nach Umkleidekabine, Männerduft und Schweiß. »Aber wenn wir uns einig sind, dass wir gerade fünf Kilometer nach Norden gegangen sind – so ist es doch, oder?« Er blickte mich finster an. »Dann müssten wir uns eigentlich drei Kilometer südöstlich befinden. Und das bedeutet, die Burgruine ist definitiv …«
    »Es gibt zwei Burgen auf dieser Karte, Russell. Zwei. Und ich glaube nicht, dass das, was wir finden sollen …«
    Nick erblickte anscheinend das Wort »Diplomatie« auf seinem Merkblatt und mischte sich ein. »Ich glaube, unsere Pläne, die Burg zu finden, sollten wir besser aufgeben. Findet ihr nicht auch? Wir sollten lieber versuchen, unsere Position zu bestimmen und zum Treffpunkt zurückzukehren.«
    Dass wir uns verirrten, war beabsichtigt. Das war der Test. Wie wir auf diese Situation reagierten, würde entscheiden, wer befördert und wer rausgeworfen wurde. In diesem Moment hätte ich Russell liebend gern einen Tritt vors Schienbein verpasst.
    »Das versuche ich doch die ganze Zeit, Nick«, erwiderte er gewagt

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