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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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aggressiv. »Erst wenn wir uns über unsere Position klar sind …« Er brach ab. Was überlegte er? Ob er einen Mord begehen sollte? Wer wusste das schon?
    Ich zog die Karte aus ihrer Plastikhülle. »Sieh mal«, sagte ich. »Lass es dir noch einmal erklären. Meiner Meinung nach sind wir hier. Wald hier. Hügel da. Reitweg möglicherweise dort, aber da kein Schild dabei steht und wir zwei andere Orientierungspunkte sehen können, die definitiv in der Karte vorkommen, sollten wir es mit meiner Richtung versuchen. Und dann kommen wir etwa hierhin. Okay. Und das bedeutet, wir sind etwa zwei Kilometer oder so von diesem Hügel entfernt. Und wenn wir den Hügel hinaufsteigen, müsste die richtige Burg ziemlich bald zu sehen sein. Wenn wir auf den Hügel zugehen, kommen wir zwangsläufig zu diesem Weg und befinden uns damit auf dem Rückweg. Kapiert?«
    Nick nickte. Russell schniefte. Er schloss den Kompassdeckel. Klick.
    »Na gut«, sagte er. »Mach, was du willst. Fünf Minuten bei den dämlichen Pfadfindern, und offensichtlich weißt du alles. Na gut. Lass uns gehen.«
    »Du liebe Güte, Russell! Können wir das nicht diskutieren, ohne dass du gleich einen Wutanfall bekommst?«
    Aber Russell hörte gar nicht mehr zu. Er war schon zehn Meter weiter und marschierte los wie Mallory, der unbedingt auf den Himalaja musste.
    »Hm«, sagte Nick, schulterte seinen Rucksack und zwinkerte mir zu.
    »Und fang du nicht auch noch an«, fuhr ich ihn an. Aber ich musste trotzdem lächeln.
    ***
    Wir marschierten also etwa vierzig Minuten hintereinander her. Es wurde kälter, der Wind nahm zu, und der ganze Nachmittag endete in einer ausweglosen Situation, wie es Drug-U-Like anscheinend beabsichtigt hatte. Die Landschaft wurde zunehmend hügeliger. Wir folgten der Küstenlinie, und der holperige Untergrund bestand mehr aus Sand als aus Erde. Die beruhigende Reihe von Straßenlampen, die ich im Norden gesehen hatte, war verschwunden. Aber zumindest wurde die Vegetation dichter.
    Ich überlegte gerade, wo ich in einer solchen Umgebung am besten eine Pinkelpause einlegen konnte (und was das für Konsequenzen auf mein Managerstil-Profil haben würde), als Russell, der vorneweg ging und mit keinem von uns redete, sich plötzlich umdrehte und zurückgestampft kam.
    »Na toll«, sagte er, als wir näher kamen. »Und jetzt?«
    Erneut bildeten wir einen Feenring um seinen kostbaren Kompass. Der Wind kam vom Meer und blies uns Sand in die Augen.
    »Was ist denn?«, fragte Nick.
    Russell wies nach vorn. »Das da ist ein Fluss. Irgendwelche Vorschläge?« Er wirkte sehr zufrieden mit sich.
    »Ein Fluss?«, fragte ich.
    »Ja, so ein langes, breites, nasses Ding. Du hast bestimmt schon mal einen gesehen. Nur anscheinend nicht auf deiner Karte.«
    Ich hob die Karte und musterte sie aufmerksam.
    »Hier ist kein Fluss eingezeichnet. Ich sehe jedenfalls keinen«, erwiderte ich und fuhr mit dem Finger an unserer Route entlang.
    »Darf ich?«, fragte Nick. Ich zog mir die Schnur vom Hals und reichte ihm die Kartenmappe. Er nahm die Karte heraus und entfaltete sie. Stirnrunzelnd musterte er sie ein paar Minuten lang. Russell stand ein wenig abseits, den Kompass in der einen Hand, die andere in die Hüfte gestemmt.
    »Da ist ein Fluss«, sagte Nick schließlich und wies auf eine blaue Linie auf einem anderen Teil der Karte. »Er mündet hier. Vielleicht sind wir gar nicht da, vielleicht sind wir ja dort. Das ist möglich, ja. Da ist die Farm, an der wir hätten vorbeikommen müssen. Wir hätten diesen Pfad nehmen müssen.«
    »Welchen Pfad?« Ich spähte auf die Karte.
    »Als wir vor etwa einer Stunde an diesem Kilometerstein waren.«
    »Ach«, warf Russell ein. »Meinst du den Weg, den ich nehmen wollte?«
    »Nein, den nicht«, antwortete Nick. »Den davor. Den an der Gabelung. An der Schafweide.«
    Ha! Das war der Weg, den ich eigentlich hatte gehen wollen. Aber ich hatte mich nicht durchgesetzt. Wahrscheinlich würde es dafür Punkteabzug geben, deshalb hielt ich lieber den Mund und sagte gar nichts. Russell spuckte eine Mücke aus. Nick kämpfte mit der Karte, die im Wind flatterte.
    »Wir sind also ungefähr hier«, sagte er und zeigte den Punkt auf der Karte. »Das bedeutet …« Er blickte zum Hügel und fuhr mit dem Finger auf der Karte entlang. »Wir müssen nach Westen gehen.«
    »Über den Fluss?«, fragte Russell.
    Nick nickte. »Über den Fluss.«
    Sie redeten viel zu viel von Wasser. Ich hielt es nicht mehr aus. »Wartet mal«, sagte ich.

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