Herzklopfen für Anfänger
Worten.
»Ach herrje.« Er atmete aus und klopfte an die Tür von Kates Zimmer.
Ich bereitete mich darauf vor, entsetzt zu sein.
Es gibt natürlich unterschiedliche Stadien des Entsetztseins. Während ich Jonathan folgte, wappnete ich mich im Stillen gegen die Eröffnung, dass meine pubertierende Tochter von ihrem pickeligen Werwolf-Freund schwanger war. Doch es handelte sich weder um eine Schwangerschaft, noch um Drogenmissbrauch oder eine Sektenmitgliedschaft. Oh, welche Freude! Mein Entsetzen hielt sich also in Grenzen. Um ganz genau zu sein, war ich sogar erleichtert. Unglaublich erleichtert. Innerhalb weniger Sekunden entdeckte ich, worum es ging: ein schmales Band aus tintenschwarzem Stacheldraht, das sich um ihren rechten Oberarm schlang.
Ich war nicht angetan davon. Und ich war auch enttäuscht. Aber entsetzt? Wie konnte ich entsetzt sein, so beschäftigt wie ich war, dem Herrn zu danken?
Es nützte allerdings wenig, denn dass ich die Sache herunterspielte, machte Jonathan wütend. Er wurde furchtbar aufgebracht und erwartete das von mir ebenfalls.
Also schwieg ich.
»Nur ein Tattoo?«, spuckte er. »Nur ein Tattoo?« Sein Gesicht wurde so rot wie eine Tomate. Die Farbe leuchtete umso mehr, als er mitten im Sonnenlicht stand, das durch Kates Fenster drang. Er knallte sein Fensterleder auf Kates Schreibtisch. Dort lag es und weinte feuchte Tränen.
»Ja, Dad«, stieß Kate ebenso wütend hervor und zerrte ihren Ärmel wieder herunter. »Es ist nur ein Tattoo, nichts weiter! Jetzt entspann dich mal. Was ist denn los mit dir?«
Diese – wenig überzeugende – sorglose Haltung war ein bisschen hinterhältig, fand ich. Mir fiel auf einmal auf, dass ich Kate seit mindestens zwei Monaten nicht mehr mit entblößten Oberarmen gesehen hatte. Ich muss in Zukunft genauer hinsehen, nahm ich mir vor.
»Was mit mir los ist?«, brüllte er. »Kate, du hast dich entstellt. Du bist sechzehn Jahre alt und hast dich nicht nur für dein ganzes Leben entstellt, sondern dich auch als hirnlos, dumm und ignorant gebrandmarkt. Und du hast uns angelogen.« Er stach mit dem Finger in die Luft. »Wer hat das gemacht? Wer hat dir das angetan? Ich zeige ihn an! Das ist genau die …«
»Dad, das ist lächerlich! Es ist nur ein Tattoo, du liebe Güte. Heutzutage hat jeder so etwas. Jeder.«
Diese Äußerung war unklug, dachte ich. Ich hatte recht. Jonathans Gesichtsfarbe wechselte zum Rot einer Paprikaschote.
Erneut stach sein Finger in die Luft. »Du bist nicht jeder. Du bist meine Tochter, Fräulein. Und ich bin entsetzt. Wenn du erwachsen bist, wird dir klar werden, wie dumm und unreif du gehandelt hast. Was ist mit deiner Karriere? Was mit dem Rest deines Lebens? Was ist mit all den Jahren, in denen du dich wegen deines Körpers schämen wirst? (Das fand ich jetzt ein bisschen übertrieben.) Und komm mir bloß nicht mit all den Promis, die auch Tattoos haben. Mir ist egal, ob Madonna oder dieser Eminem eins hat. Wenn das die Leute sind, zu denen du aufblickst, dann Gnade uns Gott, mein Kind.«
Er verfiel in ein schreckliches Flüstern. »Ich dachte, ich könnte mehr von meiner Tochter erwarten.«
Morgan und ich standen reglos da wie die Schaufensterpuppen, während Jonathan weiter seiner tiefen Enttäuschung Ausdruck verlieh. Kate stand so dicht mit dem Rücken zur Wand, dass sie keinen Bewegungsspielraum mehr hatte, und so tat sie das einzig Vernünftige, was ihr in dieser Situation übrig blieb. Sie brach in Tränen aus.
»Das liegt nur an diesem Freund«, verkündete Jonathan grimmig beim Abendessen, als die Mädchen mit dem Hund Gassi gingen. Sie hatten sich versöhnt und waren wieder Freundinnen, aber die Kluft zwischen ihnen wurde mit jedem Tag größer. Je selbstsicherer und erwachsener Morgan wurde, desto verschlossener und unkommunikativer wurde Kate.
Zumindest war ein wenig Ruhe eingekehrt. Nachdem sowohl Morgan als auch ich Jonathan angefleht hatten, sah er davon ab, Kate aus ihrem Zimmer zu holen, in dem sie bleiben wollte. Vermutlich um ungestört über Ungerechtigkeit im Leben, Eltern und so weiter nachzudenken. Er wollte Hausarrest über sie verhängen – was ihm leichtfiel, da ich der ausführende Büttel sein würde. Doch eine ungute Stimmung hing über dem Rest des Nachmittags und frühen Abends. Wahrscheinlich würde das eine Weile so bleiben. Zum Glück fuhr Jonathan morgen wieder nach London und konnte seine tiefe Enttäuschung mitnehmen.
Er kräuselte die Lippen. »Sie ist ein völlig anderes
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