Herzklopfen für Anfänger
Ich schien keine Kontrolle darüber zu haben. Ich empfand nur plötzlich so ein überwältigendes Bedürfnis. So ein Gefühl der Unvermeidbarkeit, als ob es das stärkste, wahrste, intensivste …«
»Ja, ja. Und du hattest auf einmal das Gefühl, ihn dein ganzes Leben lang zu kennen. Oder auch in einem anderen Leben. Dass ihr füreinander geschaffen seid. Dass es Schicksal war. Dass es …« Sie legte die Hand auf ihr Herz. »Dass es in den Sternen geschrieben stand?«
Sie ließ die Hand wieder sinken und warf mir einen strengen Blick zu. »Sal, ich weiß das. Ich schreibe dieses Zeug. Zum Teufel, ich lebe es. Aber so leid es mir auch tut, dass gerade ich einen Eimer voll Schmutzwasser über deine erhabenen Gedanken gießen muss, ich glaube, du wirst noch herausfinden, dass es letztendlich nur um Lust geht. Du weißt schon – Sex. Du kannst es noch so sehr beschönigen, mit Blumen, Adjektiven und Herzchen, letztendlich geht es um Sex. Du hast ihm gefallen. Er hat dir gefallen.« Sie lächelte. »Es fühlt sich zwar romantisch an, und ich kann dir sagen, dass es sich als Liebesgeschichte in Woman’s Weekly gut machen wird. Aber im Grunde geht es nur um Sex.«
Ich blinzelte. Mein Kopf war glasklar, und meine Tränen waren versiegt. »Himmel, Ruth, bei dir klingt das so geschmacklos.«
»Ach, Blödsinn«, erwiderte sie. »Geschmacklos? Daran ist nichts Geschmackloses. Es ist ganz normal, Sal. Es ist menschlich. Ich bin zwar weiß Gott keine Expertin, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass du nach achtzehn Jahren Beischlaf mit demselben Mann ausflippst, wenn du das erste Mal an der verbotenen Frucht naschst. Ich meine, irgendwo wird es vielleicht eine alte Schachtel geben, die über ihr fantastisches Sexleben mit dem Mann schwärmt, mit dem sie seit kurz nach dem Burenkrieg zusammen ist, aber ich glaube das nicht. Ich kenne jedenfalls keine. Menschen sind so. Ich weiß, was du denkst. Du denkst, woher will sie das wissen? Sie hüpft doch nur von einem hoffnungslosen Flirt zum nächsten. Aber ich stelle es mir wirklich schwierig vor, bei dem Mann in Wallungen zu geraten, den man sein halbes Leben lang und in- und auswendig kennt.«
Das stimmt, dachte ich traurig. Es war tatsächlich schwierig. Es war sehr schwierig. Eigentlich sogar unmöglich. Aber man machte eben das Beste daraus. Tat das nicht jeder? Ich beherrschte die Routine – den sporadischen, mechanischen Sex, die lauwarmen Orgasmen ab und an. Aber hier ging es nicht um langfristige Libidoerhaltung. Es ging um die Tatsache, dass mein Wille zum Durchhalten einfach den Schwanz eingekniffen hatte und verschwunden war, als ich Nick Brown begegnete. Ich trank noch einen Schluck Wein.
»Du hast recht.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Das ist der Grund, warum Menschen andere begehren. Im Grunde ist es nur Biologie, Sal.«
Biologie. Mehr nicht? Hatte mein Körper eine sexuelle Meuterei angezettelt, bevor Osteoporose und Altersschwäche einsetzten?
»Biologie«, wiederholte ich ungläubig.
»Biologie«, bestätigte Ruth. »Also, was soll es? Schließ dich der menschlichen Rasse an. Hab eine Affäre mit ihm. Vögele ihn um den Verstand. Brich aus, solange du die Chance dazu hast. Und solange du darüber schweigst, schadet es niemandem. Was Jonathan nicht weiß, kann ihn auch nicht verletzen.«
»Was – einfach so? Eine Affäre haben? Ruth, wie kannst du so etwas so nüchtern vorschlagen?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Geschmacklos, nüchtern. Gott, du machst es dir aber auch schwer mit dem Sex. Einmal die Woche, bei zugezogenen Blümchenvorhängen, ausgeschaltetem Licht und ohne Erwähnung der in Frage kommenden Körperteile?« Sie lachte. Dann musterte sie mich eindringlich. »Hör zu, ich will es nicht abwerten. Ich bin nur pragmatisch. Ich sage nicht, dass es toll wäre, eine Affäre mit Nick Brown zu haben. Toll wäre, wenn du dich nicht in Nick Brown verguckt hättest und mit Jonathan gemeinsam durchs Leben gehen würdest, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen, mit einem anderen schlafen zu wollen. Das wäre toll, aber ist das wahrscheinlich? Ich glaube nicht. Das Konzept ewiger Treue hat wahrscheinlich gut funktioniert, solange die meisten Menschen mit vierzig tot umfielen. Aber so ist es heute eben nicht mehr. Die Leute leben länger. Beziehungen gehen kaputt. Wenn du logisch darüber nachdenkst, hat sexuelle Anziehung nur den Zweck, dass Männer und Frauen ihre Gene weitergeben. Es steht nicht in den Sternen geschrieben, dass sie sich in
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