Herzklopfen in Virgin River (German Edition)
„Netta ist zu uns gekommen, als die Einrichtung, in der sie wohnte, geschlossen wurde. Das war für sie eine schwierige Zeit. Auf einen Schlag hat sie ihr Zuhause, ihre Arbeit und Freunde verloren.“
„Und Art ist weggelaufen, nachdem er misshandelt wurde“, erklärte Aiden. „Luke hat ihn gefunden, da war er gerade dabei, den Müll zu durchwühlen. Art hatte ein großes blaues Auge.“
„Das ist eigentlich ungewöhnlich“, erwiderte Ellen. „Ichmeine, für Art, dass er einfach so ausreißt – das ist mutig. Herumlaufen oder verloren gehen ist ganz normal. Ist er glücklich bei Luke?“
„Sehr glücklich, soweit die Familie das beurteilen kann. Luke war Single, als ihm Art über den Weg lief, aber jetzt ist er verheiratet und erwartet bald sein erstes Kind. Seine Frau Shelby und die ganze Familie lieben Art. Allerdings hat keiner von uns viel Erfahrung mit den speziellen Bedürfnissen Erwachsener mit Downsyndrom. Luke belasten ein paar ganz offensichtliche Bedenken – zum Beispiel wegen solcher Sachen wie Verabredungen …“
„Sex?“, fragte Ellen. „Macht er sich darüber Sorgen?“
„Sollte er denn?“, wollte Aiden wissen.
„Wir müssen gemeinsam darauf achten, was mit ihnen geschieht“, sagte sie. „Falls es zu ernst wird, reicht es vielleicht, wenn man sie ablenkt. Im Moment genügen wir als Anstandswauwaus. Unsere Frauen nehmen die Pille einfach so zur Sicherheit …“
„Weil Sie bereits Erfahrungen gesammelt haben? Sexuelle Handlungen beobachtet haben oder so?“
Ellen schüttelte den Kopf. „Nein, Dr. Riordan – auch behinderte Erwachsene haben eine Libido – bei manchen scheint die Libido sehr aktiv zu sein. Einige masturbieren, flirten oder versuchen sogar, jemanden vom anderen Geschlecht unangemessen und unschicklich zu berühren. Unsere Frauen haben bis jetzt noch keine rege Libido gezeigt, doch die Pille unterstützt das und hilft bei PMS. Wir müssen sie dennoch vor einer möglichen Schwangerschaft durch sexuelle Übergriffe bewahren. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um sie zu schützen, aber wir können sie schlecht vor der Welt verstecken, und Tatsache ist nun einmal, dass da draußen ein paar böse Menschen darauf lauern, sich auf behinderte Frauen zu stürzen.“
Aiden wurde nicht oft mit Themen konfrontiert, von denen er überhaupt keine Ahnung hatte – doch dieses hier gehörteeindeutig dazu. Seine Ausbildung hatte ihn darauf vorbereitet, geistig zurückgebliebenen Frauen, die eventuell Sex haben könnten, die Pille zu verschreiben, allerdings war das während seiner Laufbahn bei der Navy nie vorgekommen. Übergriffe? „Gab es Vorfälle von sexuellem Missbrauch?“, fragte er.
„Soweit wir wissen nicht, auch keine Symptome, trotzdem besteht immer die Gefahr. Zwei unserer Schützlinge haben das Downsyndrom, und ihre Verletzlichkeit kann man ihnen am Gesicht ansehen. Außerdem sind sie extrem vertrauensselig und sehr bestrebt zu gefallen. Sie würden häufig einfach alles tun, was man von ihnen verlangt. Aber ist Art nicht …?“
„Unfruchtbar? Mein Bruder hat keine Ahnung, ob das be-reits getestet wurde. Und Art scheint überhaupt nichts von ei-nem Test zu wissen. Ich habe bisher noch keine Anzeichen für die von Ihnen erwähnte sexuelle Energie an ihm festgestellt. Er hat ein sanftes Gemüt.“
„Wenn seine Libido stark ausgeprägt wäre, hätten Sie es inzwischen bestimmt schon bemerkt“, wandte Ellen ein. „Wir gehören zu einer Gruppe, die Eltern und Betreuern von behinderten Erwachsenen unterstützen, und einer unserer Freunde kümmert sich um einen jungen Mann, der ziemlich oft onaniert. Es ist manchmal schwierig, ihn davon abzuhalten. Ich glaube, im Fall von Art und Netta handelt es sich eher um eine sehr innige Freundschaft.“
„Vielleicht sind sie glücklich, wenn wir einfach nur dafür sorgen, dass sie eine schöne Zeit miteinander verbringen können.“ „Geistig behinderte Menschen verlieben sich andauernd, Dr. Riordan“, erinnerte ihn Ellen. „Als Pärchen leben sie meist mit einem ihrer Elternteile zusammen oder in derselben Wohngruppe. Es kann in manchen Fällen sehr kompliziert werden, und ich kenne Menschen, die eine Menge unternehmen würden, um eine Beziehung wie die zwischen Art und Netta zu verhindern. Aber hat nicht jeder Mensch ein Recht auf Liebe und Zuneigung? Unabhängig von seiner Behinderung? Ichsehe meine Aufgabe in erster Linie darin, Netta zu schützen und nicht über ihren Kopf hinweg zu entscheiden. Wenn
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