Herzraub
können.“
Gerhard Kanitz blickte auf. „Die Ärzte haben sie abgeschrieben. Leider war unsere Marita nicht so berühmt wie Frau Osswald.“
„Und so hat sie kein Herz mehr bekommen. Wissen Sie“ – Traudel Kanitz griff nach ihrer Tasse – „bei uns in Österreich ist das ganz anders. Da können die Ärzte ohne großes Trara gleich jede Menge Organe entnehmen. Es sei denn, die Angehörigen widersprechen.“
„Aber dazu müssen sie sich ins Bundesregister eintragen lassen“, ergänzte Herr Kanitz. „Und das tun nur ganz wenige. Außerdem bekommen die Ärzte ja auch von den Deutschen, die im Land verunglücken, Organe, da kommt also schon einiges zusammen.“
Danzik fühlte, wie ihm ein Frösteln über die Arme kroch. Früher, als er noch sportlicher war, war er in den österreichischen Alpen häufig Ski gefahren. Jung und trainiert war er damals gewesen. Nein, er hatte es nicht gewusst, dass man in Österreich als ausländischer Tourist so schnell auf dem Ausweidetisch landen konnte …
Aber er musste jetzt endlich zum Zweck ihres Besuches kommen. „Es tut uns Leid, dass Sie Ihre Tochter auf so tragische Weise verloren haben. Dennoch müssen wir diesem anonymen Anruf nachgehen. Sagen Sie uns also bitte, wo Sie sich am 14. und 15. Oktober aufgehalten haben.“
Traudel Kanitz fuhr im Sessel hoch, starrte Danzik entsetzt an und drehte sich zu ihrem Mann. „Hast du das gehört, Schatzerl? Hast du das gehört? Sie wollen ein Alibi von uns!“
„Ein Alibi …“ Gerhard Kanitz’ Mundwinkel zogen sich noch weiter nach unten. „Aber bitte schön.“
„Müssen wir uns das gefallen lassen?“, kreischte seine Frau.
„Mach jetzt kein Theater.“ Herr Kanitz ging zu einem nussfarbenen Schreibtisch in der Ecke und holte einen Notizkalender. „An beiden Tagen war ich wie immer im Büro, an dem einen Abend hatten wir Opern-Abo, an dem andern waren wir bei Freunden.“
„Den Namen der Freunde, bitte“, sagte Tügel.
Gerhard Kanitz erhob sich. Er kam mit einer abgerissenen Opernkarte und einem Zettel mit dem Namen seiner Freunde zurück.
„Und Ihre Büronummer“, sagte Tügel.
Gerhard Kanitz’ Gesicht hatte sich gerötet, aber dann schrieb er auch die Firmenanschrift auf.
„Frau Kanitz, wo waren Sie tagsüber am 14. und 15. Oktober?“ Danzik fixierte sie scharf.
„Ich finde das unerhört, wie wir hier wie Schwerverbrecher … Und wie soll ich das überhaupt feststellen?“
„Dienstag war doch die ganze Zeit Frau Behrens bei dir“, half ihr Mann nach. „Die Putzfrau“, ergänzte er, zu den Kommissaren gewandt. „Und Mittwoch hattest du deinen Schönheitstag im Beauty Center.“
„Ja, richtig.“ Frau Kanitz fuhr sich durch die blondierten Haare.
„Die Adressen, bitte“, sagte Tügel.
Traudel Kanitz stand auf und stöckelte zu einem Sekretär hinüber.
„Hier“, sagte sie. „Und jetzt verlassen Sie bitte unser Haus.“
„Danke, wir finden allein hinaus“, erwiderte Tügel. Er hatte gehört, dass dieser Satz die passende Antwort auf einen Rauswurf war.
„Unglaublich, diese Schweinerei“, schimpfte die Anästhesie-Schwester. „Es ist doch immer dasselbe. Husch, husch, holen sie sich ihre Organe, füllen ihre Boxen, und dann nichts wie weg. Ende der Tupper-Party.“
„Ja, den letzten, den beißen die Hunde“, erwiderte OP-Schwester Maren. „Und das sind wir. Schau mal, nicht mal zugenäht haben sie ihn.“
Die Anästhesie-Schwester beugte sich über den Rest von Alexander Osswald und starrte in den ausgeräumten Brust- und Bauchraum. Dann streifte ihr Blick die leeren Augenhöhlen. „Ich muss hier weg“, stieß sie hervor. „Bitte nimm es mir nicht übel, aber – “
Schwester Maren sah ihr nach, mit einem flehenden Blick, als könne sie die Deserteurin damit zurückholen. Aber einer muss sich doch um ihn kümmern, dachte sie verzagt. Hastig entfernte sie die letzten Blut- und Desinfektionsmittelreste, wusch den Toten und nähte den vom Hals bis zum Schambein reichenden Schnitt mit schnellen Stichen zu. Während sie nähte, versuchte sie krampfhaft, ihren Blick einzugrenzen, nicht abzugleiten zu den Vertiefungen, die kurz zuvor noch Alexanders Augen geborgen hatten. Das mit den Augen war das Schlimmste, nein, sie hielt es nicht aus – sie griff sich ein Tuch und legte es über das Gesicht des Leichnams. Ich war an einem Mord beteiligt, dachte sie schaudernd. Die Ärzte haben diesen jungen Mann ermordet. Das Sprichwort stimmte: Wer jemandem nicht mehr ins Gesicht
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