Herzraub
schauen konnte, der hatte Schuld auf sich geladen.
Ein Würgen stieg in ihr hoch, das ihr die Luft abschnürte. Nein, es war genug, sie konnte nicht mehr. Alles Übrige sollte jemand anders machen. Sie warf ein Laken über Alexanders Restkörper und griff zum Telefon. Wenig später erschien ein Pfleger, und sie lagerten die Leiche auf ein mit Moltex ausgekleidetes Bett um. Auf ein Kärtchen schrieb sie „Alexander Osswald“ und befestigte es am Zeh des Toten.
„Hast du eigentlich einen Organspendeausweis?“, fragte Schwester Maren den Pfleger.
„Ich? Bist du verrückt? Natürlich nicht. Da kannst du jeden fragen, so was hat hier keiner.“
„Ich habe auch keinen.“ Schwester Maren sah noch einmal nachdenklich auf den Toten. „Zum Glück“, setzte sie leise hinzu.
Der Pfleger hatte sich schon eilig entfernt, und noch einmal war sie allein mit Alexander Osswald. Schwester Maren faltete die Hände und sprach ein kurzes Gebet. Dann rief sie in der Pathologie an. Gleich würde man den bleichen Körper abholen und in den Kühlraum bringen.
12
Claus Saalbach saß mit Linda, seiner aktuellen Bettgenossin, im ›Botticelli‹, um ihr den Abschied zu geben. Trotz seiner Leichtlebigkeit hatte er es nicht über sich gebracht, die Sache telefonisch abzumachen. Oder vielleicht noch per Handy, dachte er angewidert, so wie es manche seiner Freunde taten. ›Es ist aus‹, ruckizucki per SMS, nein, das war nicht seine Art. Er hatte eine Erziehung genossen, in der man jungen Männern noch etwas vom ›Kavalier alter Schule‹ mitgegeben hatte, und deshalb legte er Linda jetzt einen Strauß langstieliger Rosen auf den Tisch. Sag es durch die Blume, dachte er, aber wie?
Sein Entschluss stand fest. Er konnte dieses unbedarfte Plappermaschinchen nicht mehr ertragen, auch wenn ihm die Friseurmeisterin ein paar hochklassige Urlaube jenseits seiner finanziellen Möglichkeiten geboten hatte. Aber allein diese Küsschen-Arie, mit der sie eben den Wirt überfallen hatte, den sie doch bisher nur einmal gesehen hatte. Nervig!
Er war müde, so unendlich müde. Er fühlte selbst, dass sein Casanova-Charme dahin war, erloschen wie ein Vulkan, von dem man nicht wusste, ob er noch einmal aufregende Funken sprühen würde. Ein junges Mädchen im Mini, besser gesagt in einer Po-Manschette, stakste durchs Restaurant, und er sah ihr nach. Doch ohne Interesse, mehr aus Gewohnheit, mit dem Jägerblick, der ihm schon gar nicht mehr bewusst war.
„Das tut mir echt Leid, das mit deinem Sohn“, sagte Linda und schlürfte den Prosecco weg.
„Ist schon gut“, murmelte er und setzte das Glas erst nach mehreren großen Schlucken ab.
„Ja, das ist alles wirklich furchtbar“, seufzte sie. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann …“
„Nein, nein, ich komme schon zurecht.“ Er blätterte in der Speisekarte, obwohl er schon für sie beide bestellt hatte.
Zum Glück wurde jetzt die Florentiner Spinatsuppe serviert, und er hatte was zu tun.
„Aber ich kann dir wenigstens den organisatorischen Kram abnehmen, den Sarg mit dir aussuchen, die Traueranzeigen verschicken – “
„Nein!“ Sein Ton war so hart, dass ihr der Löffel entglitt. „Entschuldige“, setzte er weicher nach, „aber es ist alles geregelt.“
Linda sah ihn besorgt an. „Du hast abgenommen. So kannst du auf keinen Fall weitermachen. Ich werde dir von jetzt an jeden Tag was zu essen kochen.“
„Du hast es wohl noch immer nicht begriffen: Ich brauche dich nicht, ich komme alleine klar.“
Sie schüttelte nachsichtig den Kopf. „Wann ist eigentlich die Beerdigung?“
„Morgen.“
„Na, siehst du.“ In ihrem Blick lag Triumph. „Dann brauchst du mich doch. Das kannst du ja wohl nicht allein durchstehen.“
Saalbachs schwere dunkle Brauen zogen sich zusammen. „Ich sage es dir jetzt noch mal, ein letztes Mal: Ich brauche dich nicht, und ich wünsche auch nicht, dass du auf der Beerdigung erscheinst.“
Linda blickte ihn entsetzt an, ihre Lider begannen plötzlich zu flattern. „Heißt das …“, fragte sie leise.
„Ja, heißt es. Ich mache Schluss. Es war eine schöne Zeit mit dir, aber – “
„Eine andere Frau?“
„Beruhige dich. Nein, keine andere Frau. Ich möchte nur in Zukunft allein leben. Die Sache mit meinem Sohn – ich glaube, ich habe da auch viel falsch gemacht.“
„Ach, ja?“ Linda knallte die Serviette auf den Tisch. Es war offensichtlich, dass sie ihm nicht glaubte. Dabei hatte er gedacht, dass er mit der Mitleidstour noch
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