Herzraub
wollen in der Organszene ermitteln“, stellte Laura Flemming fest.
„Ja, und ich hoffe, dass ich mit Ihrer Hilfe weiterkomme. Hatten Sie schon mal Kontakt zur Polizei – ich meine – “
Die Journalistin prustete los. „Nein, ich bin fleckenlos rein. Doch im Ernst: Ich stand mal im Notizbuch eines ermordeten Künstlers, der mir nach einem Artikel über ihn einen Rosenstrauß geschickt hatte. Aber leider konnte ich zur Aufklärung nichts beitragen.“
„Was in meinem Fall hoffentlich anders sein wird.“ Ein Rosenstrauß, ja, das passte zu ihr …
„Mit Sicherheit.“ Laura Flemming überreichte ihm eine Liste. „Hier, das sind fünf Namen von Spenderfamilien.“
„Nur fünf?“, fragte Danzik.
„Ja, das sind sozusagen die Säulen der Selbsterfahrungsgruppe. Die anderen, die dazugehören, kommen nur sporadisch. Und manche kommen gar nicht mehr. Die sind so traumatisiert, dass sie nicht darüber sprechen können. Die eine Spendermutter hat Brustkrebs bekommen, eine andere wurde berufsunfähig, ein Vater ist Alkoholiker geworden, und eine Mutter ist in der Psychiatrie gelandet.“
Danzik sah sie ein wenig ratlos an. „Ich suche unter diesen Menschen jemanden, der ein Motiv hatte, Celia Osswald zu ermorden. Aber was ist nun eigentlich das Schlimme und Traumatisierende, das die Familien erlebt haben?“
In dem Moment wurden die penne und der Pinot Grigio serviert.
„Zum Wohl!“ Sie schauten sich in die Augen. Danzik war überzeugt, dass sein schläfriger Blick eine erotische Saat legen würde.
Laura Flemming nahm ein paar Bissen und legte die Gabel beiseite. „Das Ganze ist eigentlich kein Essensthema. Jedenfalls nicht für sensible Gemüter. Und Sie sind doch sensibel, nicht wahr?“
Sie flirtete mit ihm. Danzik gab den verheißungsvollen Blick zurück. Er fühlte sich auf einmal unwiderstehlich. Er würde diese attraktive Frau bekommen …
„Natürlich bin ich sensibel. Und genauso stark wie Sie.“
„Das will ich für Sie hoffen.“ Die Journalistin aß noch ein wenig. Ein kleiner Aufschub, als müsse sie ein letztes Mal Anlauf nehmen, das heikle Thema endlich loszulassen.
„Also: Ein junger Mann ist verunglückt, schwere Kopfverletzungen, er kommt auf die Intensivstation, die Mutter steht hoffnungsvoll an seinem Bett. Denn er ist zwar bewusstlos, sieht aber rosig aus, die Hände sind warm, Apparate lassen ihn atmen und sein Herz schlagen. Und dann, in diese Hoffnung hinein, sagt der Arzt: Ihr Sohn ist tot. Und warum? Weil das Gehirn tot ist. Unwiederbringlich.“
„Ja, wenn es keine Rückkehr mehr gibt …“
„Es g i b t in der Regel keine Rückkehr mehr. Das ist richtig. Der Hirnschaden ist irreversibel.“
„Wo liegt dann das Problem?“
Laura Flemming seufzte tief auf. „Herr Hauptkommissar, was würden Sie sagen: Wann ist ein Mensch tot? Sie haben doch ständig mit Toten zu tun!“
„Das stellt unser Rechtsmediziner fest. Aber ich weiß es natürlich auch: keine Atmung, kein Herzschlag, keine Bewegung mehr. Keine Augenreaktion, wächserne Blässe, nach einer halben Stunde Totenflecken, nach zwei bis drei Stunden Leichenstarre.“
Der Ober, der gerade Wein nachschenkte, sah den Kommissar irritiert an. „Entschuldigung!“, murmelte er, weil er ein paar Tropfen verschüttet hatte.
„Macht nichts“, sagte Laura Flemming. „Ja, das ist Tod, was Sie da beschrieben haben“, fuhr sie fort. „Nun aber haben die Mediziner den Tod vorverlegt und ihn als Hirntod definiert. Warum? Weil sie Organe brauchen, und die lassen sich nur verpflanzen, wenn sie noch lebensfrisch sind. Eine Leiche nützt da nichts, die ist nur noch was für den Sektionssaal.“
„Interessant. Und wie kam es zu dieser Entwicklung?“
„Kann ich Ihnen sagen. In den sechziger Jahren, als sich mit der künstlichen Langzeitbeatmung die Intensivmedizin etablierte, kam die Frage auf, wie lange man dauerhaft Bewusstlose am Gerät lassen müsse. Wenn man nachweisen könnte, dass das Gehirn komplett abgestorben ist, dann könnte man die Geräte abstellen und sich Ärger mit drängenden Angehörigen und vor allem immense Kosten ersparen.“
„Abstellen oder nicht ist heute immer noch ein Problem“, warf Danzik ein.
„Ja. Jedenfalls fiel das genau mit dem Entstehen der Transplantationsmedizin zusammen, nachdem Barnard 1967 das erste Herz verpflanzt hatte. Man brauchte Rechtssicherheit. Um lebendige Organe entnehmen zu können, definierte man also den Tod als Hirntod. 1968 in der ›Harvard-Kommission‹ in
Weitere Kostenlose Bücher