Herzschlagzeilen
kleinen Schwester. Meine Eltern waren den ganzen Nachmittag und Abend hauptsächlich damit beschäftigt, Kikis Haarfarbe halbwegs zu retten, Kikis Beweggründe zu verstehen (er heißt Paul und hat wohl durchklingen lassen, dass er mehr auf Blondinen steht) und die Schweinerei im Bad zu beseitigen. Ich konnte also ungestört a) weiter im Internet nach der Adresse von Marc Behrendt recherchieren, b) chatten und c) mit Nina telefonieren.
Sie hat natürlich sofort, nachdem sie von ihrem Turnier nach Hause gekommen war, bei mir angerufen. Am liebsten hätte ich ihr schon am Telefon alles über die geplante Entführung erzählt. Ich konnte sowieso an nichts anderes mehr denken. Aber das war mir dann doch zu riskant. Was, wenn unser Telefon abgehört wurde? Oder – was fast noch schlimmer wäre – wenn Papa oder Colin oder Kiki plötzlich hereinplatzen würden? Wir haben uns für heute Abend verabredet. Diesmal bei Nina zu Hause. Sicher ist sicher.
Auch die Adresse des Oberbürgermeisters habe ich gestern noch herausgefunden. Die Familie wohnt auf dem Lerchesberg. Oder soll ich sagen, sie residiert dort?
Hätte ich mir natürlich denken können. Der Lerchesberg ist die Villengegend unserer Stadt. Er grenzt genau an einen riesengroßen Kurpark mit vielen uralten Bäumen, bemoosten Wegen und verwunschenen kleinen Teichen. Richtig romantisch. Und über allem thronen die Villen der Reichen.
So nobel wohnt also Mister Kleckershirt. Die Möglichkeit, irgendwie an ihn heranzukommen, ist damit in noch weitere Ferne gerückt. Wie soll ich ihn da oben bewachen? Und wie soll ich so an meine Story kommen?
Als ich in die Küche trete, fällt mein Blick sofort auf den
Stadtanzeiger
, der noch ungelesen auf dem Küchentisch liegt. Ich rühre ein Müsli an und schnappe mir die Zeitung. Auch wenn ich es lieber gar nicht wissen will, muss ich nachschauen, was aus meinem kurzen Artikel geworden ist. Mit klopfendem Herzen überfliege ich das Titelblatt. Fehlanzeige. Okay. Was hatte ich erwartet? Ein Dreizeiler über eine Kindergarteneinweihung wird wohl kaum auf der ersten Seite stehen. Und dass dort auch kein halbseitiges Foto von Marc Behrendt mit vollgekleckertem T-Shirt zu finden ist, sollte mich eigentlich beruhigen.
Aufgeregt schlage ich die Zeitung auf und überblättere die Seiten zu Politik und Wirtschaft, bis ich zum Lokalteil komme. Mein Herz schlägt so laut, dass ich gar nicht höre, wie Colin und Kiki in die Küche kommen.
»Gib mal her!« Mit einem Ruck schnappt Colin mir den Lokalteil aus der Hand.
»He, was soll das?« Fast reißt die Seite durch, als ich sie wieder zurückerobere.
»Ich will nur schnell gucken, ob etwas über das Konzert drinsteht.«
»Über das Konzert? In der Zeitung?«
Der Gedanke, im KuBa könnte auch jemand von der Presse gewesen sein, war mir bisher noch gar nicht gekommen.
»Ja, die wollten jemanden schicken. Ein Fotograf war zumindest da, das habe ich gesehen.«
Luke. Den hatte ich ja völlig vergessen. Sofort sehe ich ihn wieder vor mir, zusammen mit der Fremden, um die er seinen Arm gelegt hatte. In dem ganzen Durcheinander hatte ich gar nicht mehr daran gedacht. Wer war das Mädchen überhaupt? Aus unserem Jahrgang war sie jedenfalls nicht, das wüsste ich. Ich bin nur froh, dass Colin offensichtlich keinen Schimmer hat, wer der Fotograf war. Blöde Bemerkungen von meinem Bruder kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Klar würde ich ihm gerne stecken, dass der Fotograf, den er gesehen hat, keineswegs von der Presse war, aber in dem Fall ist es wohl besser, die Klappe zu halten.
»Du kannst die Zeitung gleich haben.« Vorsichtshalber stütze ich mich mit beiden Armen auf den Lokalteil. »Ich will nur schnell gucken, ob mein Artikel schon drin ist.«
»Dein Artikel?« Colin stutzt einen Moment. Dann grinst er. »Ach so, DER Artikel. Die berühmte Reporterin Isa Heimbucher verhindert mithilfe unschuldiger Kleinkinder erfolgreich die offizielle Einweihung eines neuen Kindergartens.«
Wütend starre ich Colin an. Woher weiß er das denn schon wieder? Ich nehme mir vor, heute Abend ein sehr ernstes Wort mit meiner allerbesten Freundin zu reden.
Aber jetzt will ich endlich wissen, was über die Kindergarteneröffnung in der Zeitung steht.
Colin hat die Küche inzwischen in Richtung Bad verlassen. Kiki redet seit gestern Abend kein Wort mehr mit mir. Ich kann also endlich in Ruhe die Zeitung studieren.
Mein Finger fährt über die einzelnen Artikel. Auf den Fotos entdecke ich erst
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