Herzschlagzeilen
Die Kleingärtner laden zu ihrer Jahreshauptversammlung ein. Die Taubenzüchter veranstalten eine Ausstellung. Die Landfrauen haben eine Kleinkunstbühne gegründet.
… erlauben wir uns, das geneigte Publikum höflichst in unsere Scheune einzuladen, wo wir eine Komödie zur Darbietung bringen …
ist nur einer der völlig abstrusen und blumigen Texte, den ein Mitarbeiter der Zeitung – also ich – jetzt bitte in eine sachliche Meldung umformulieren soll.
Als ich endlich fertig bin, stopfe ich die Meldungen zusammen mit den Anleitungen für Praktikanten zurück in den Ordner, speichere meine Entwürfe und mache mich mit einem Ausdruck davon auf zu
Wefis
Büro.
Wefi
grunzt nur kurz, als ich ihm die Texte auf den Schreibtisch lege. Vor ein paar Wochen noch wäre ich geplatzt vor Stolz bei der Vorstellung, dass all diese Texte morgen mit meinem Kürzel versehen in der Tageszeitung stehen werden. Heute will ich nur noch raus hier. In meiner Mittagspause habe ich einiges vor.
Ich schnappe meinen Rucksack und eile zum Ausgang.
»Tschüss, bis nachher!«, rufe ich im Vorbeilaufen dem Empfangstresen zu.
Tinkerbell winkt mir fröhlich mit einem kleinen Pinsel hinterher und pustet ihre frisch lackierten Fingernägel trocken. Pink. Was sonst? Fehlt eigentlich nur noch, dass sie auch ihre Haare pink färben lässt. Moment mal. Haare?
Ich mache eine Vollbremsung und betrachte Rosas Frisur noch einmal genauer. Okay, die Pudellöckchen in Prinzessinnenblond sind nicht wirklich mein Fall, aber sie sind ganz eindeutig nicht das Werk eines dieser Billigfriseure. Vielleicht kann mir unsere Empfangsdame ja einen Tipp geben.
»Ähm … Frau …« Fast hätte ich »Frau Tinkerbell« gesagt. Schnell werfe ich noch mal einen Blick auf das Namensschild.
»Du kannst Rosa zu mir sagen, Schätzchen. Das machen alle hier!« Mit Schwung taucht sie ihren Pinsel wieder in den Nagellack und macht sich daran, auch die Fingernägel der anderen Hand zu lackieren.
Rosa. Na gut. Hoffentlich bringe ich das, ohne zu kichern, über die Lippen. Wenigstens ist sie inzwischen zum Du übergegangen, registriere ich erleichtert.
»Kann ich dir helfen?« Rosa hat mein Zögern offensichtlich bemerkt.
»Ja … das heißt, vielleicht.«
Mein Gott, Isa, jetzt reiß dich aber mal zusammen.
»Ich suche einen Friseur.«
Jetzt steckt Rosa den Pinsel zurück in das Fläschchen und schraubt es zu. Obwohl sie noch nicht fertig ist. Offensichtlich habe ich einen Nerv getroffen.
»Einen Friseur?«
Irre ich mich oder schaut sie mich mitleidig an? Zugegeben, aus ihrer Sicht müssen meine Haare so langweilig wirken wie Sauerkraut. Aber genau dagegen will ich ja heute etwas unternehmen.
»Ja. Und am besten einen, der heute noch Zeit hat.« Ich gebe mich selbstbewusster, als ich mich fühle.
Rosa seufzt tief und öffnet dann den Mund. Während ich mich innerlich schon mal auf eine Absage vorbereite, klappt Rosa den Mund wieder zu, schaut auf ihre (pinkfarbene) Armbanduhr, packt ihren Nagellack in die Schublade, greift nach ihrer Handtasche und wuchtet sich von ihrem Drehstuhl hoch.
»Komm mit!« Überraschend dynamisch trippelt sie vor mir her zum Ausgang und ich folge ihr verwirrt.
Eine Glocke klingelt, als wir zehn Minuten später einen Salon mit dem klangvollen Namen
Hairdreams
betreten. Vorsichtig sehe ich mich um und atme erleichtert aus. Im Stillen hatte ich eher einen Laden im Design eines Hundesalons erwartet. Aber was ich sehe, lässt mein Herz sofort höherschlagen. Schwarze Wände, chromblitzende Sessel mit roten Lederbezügen, riesige Spiegel und winzige Neonstrahler, die wie Sterne von der Decke blinken. Zu blöd, dass mein Billighandy keine Fotofunktion hat. Nina würde vor Neid erblassen, wenn sie das sehen könnte.
Rosa verhandelt gerade mit einem jungen Mann ganz in Schwarz und mit einem langen dunklen Zopf, der offensichtlich in diesem Laden das Sagen hat.
»Alles klar, Schätzchen! Such dir schon mal einen schönen Platz aus!« Rosa schiebt mich in Richtung der roten Sessel. »Ich muss dann zurück in die Redaktion. Viel Spaß! Und morgen verrätst du mir, wie er heißt, ja?«
Mit diesen Worten rauscht sie aus dem Laden. Ich bin viel zu überrumpelt, um noch irgendetwas zu sagen.
»Ich komme gleich.« Der Man-in-Black verschwindet hinter einem schwarzen Vorhang. »Mach es dir schon mal bequem.«
Vorsichtig setze ich mich in einen der leeren Sessel. Als alles ruhig bleibt, es keinen Knall gibt und keine Sternchen regnet, greife ich beherzt
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