Herzschlagzeilen
höher, bis er sie plötzlich fest dahin legt, wo mich überhaupt noch kein anderer Mensch berührt hat. Im ersten Moment fühlt sich das schön an. Hitze durchströmt meinen Körper und ich möchte mich dieser Hand ein Stück entgegendrücken. Aber dann quetscht Marc wieder meine Brust, und ich spüre, wie sich seine Finger unter den Rand meines Slips schieben wollen. Das will ich nicht. Das geht mir alles viel zu schnell. Ich versteife mich, presse die Beine zusammen und greife nach seinem Arm, um ihn da wegzuschieben. Aber Marc bleibt stur.
»Stell dich doch nicht so an«, murmelt er und dann gleitet sein Finger in meinen Slip.
»Ich will das nicht«, bettele ich und ziehe wieder an seinem Arm.
»Du bist doch kein Baby mehr, jetzt halt endlich still.« Marc versucht, seine Finger zwischen meine Beine zu schieben.
Heftig stoße ich seinen Arm weg und springe auf. Dass ich dabei mit meinem Kopf gegen seine Lippe knalle, interessiert mich im Moment nicht. Ich will nur raus hier.
»Blöde Zicke!« Marc flucht laut, macht aber keine Anstalten, hinter mir herzulaufen.
Erst auf der Straße merke ich, dass ich halb nackt dastehe. Mit zitternden Fingern schließe ich die Knöpfe meines Shirts wieder. Und zwar alle. Bis zum Hals.
Dann nehme ich mein Fahrrad und fahre nach Hause. Die Tränen laufen mir über das Gesicht. Ich kann kaum den Weg vor mir erkennen. Zweimal hätte ich fast jemanden umgefahren, weil ich die ganze Welt nur noch wie hinter einem Schleier wahrnehme.
Zu Hause stürze ich an meinem überraschten Bruder vorbei ins Bad und schließe hinter mir zu.
»Da bin ich wieder, Klo«, schniefe ich, bevor ich mich daraufsinken lasse und Rotz und Wasser heule.
I ch fürchte, ich werde überleben. Das Fieberthermometer zeigt 36,7° C, obwohl ich mich fühle, als hätte ich 42° C Fieber. Mindestens. Wenn ich aber überlebe, muss ich aufstehen, muss mich anziehen und dieses Zimmer verlassen. Und das ist leider überhaupt nicht möglich.
Denn draußen vor dem Zimmer wartet die Welt auf mich. Eine Welt, in der ich mich nicht mehr zurechtfinde. Eine Welt, voll von Leuten, die alles ganz anders machen, als man es von ihnen erwartet, und denen es offensichtlich völlig egal ist, was sie damit alles kaputttrampeln oder niederreißen.
Das packe ich nicht, auf keinen Fall. Deshalb beschließe ich, das Fieberthermometer einfach zu ignorieren – schließlich können auch Fieberthermometer mal irren – und trotz allem im Bett zu bleiben.
»Was ist los mit dir? Es ist schon gleich sieben Uhr!«
Kikis Kopf schiebt sich um die Ecke, die Augenbrauen erstaunt hochgezogen, die Stirn gerunzelt.
»Ich kann heute nicht«, flüstere ich.
»Bist du krank?« Kikis besorgtes Gesicht macht mir sofort ein schlechtes Gewissen.
»Ich fürchte schon«, krächze ich und lege eine Hand bedeutungsvoll an meinen Hals. »Ich kriege kaum einen Ton raus.«
»Hast du Fieber?«, will Kiki wissen.
Moah! Warum geht sie nicht endlich und lässt mich in Ruhe sterben? Wie grausam will sie denn noch sein? Die Frage mit dem Fieber ist einzig und allein Mama vorbehalten und die ist immer seltener zu Hause.
»Ich bin krank, reicht das nicht?«, fauche ich Kiki an und vergesse dabei ganz, dass ich doch krächzen muss, um authentisch zu klingen. Etwas freundlicher setze ich hinzu: »Ich glaube, ich bleibe einfach mal einen Tag im Bett. Morgen geht es mir bestimmt wieder besser.«
»Na klar.« Kiki nickt. »Gute Besserung.«
Mit diesen Worten hopst sie aus dem Zimmer.
Ich hole mir meinen MP3-Player und stecke schnell die Stöpsel ins Ohr.
So. Ruhe. Endlich.
Dann krieche ich wieder unter die Bettdecke. Für einen Moment muss ich überlegen, welcher Tag heute eigentlich ist. Mittwoch? Nein, Dienstag. Gestern war Montag und ich war im Kino. Daran erinnere ich mich. Aber genau daran will ich mich eigentlich gar nicht mehr erinnern.
Alle fünf Minuten schaue ich seit gestern auf mein Handy. Und alle fünf Minuten finde ich – nichts.
Dabei kann ich gar nicht so genau sagen, auf was ich eigentlich warte. Erst hoffte ich, Luke würde sich melden, so wie früher, einfach nur, um zu reden oder ein bisschen zu lästern. Aber vorher hätte er sich entschuldigen müssen, und im Grunde ist mir klar, dass er das nicht tun wird. Und Marc? Jeder zweite Blick auf mein Display gilt ihm. Wird er mir wenigstens eine SMS schicken? Wird er mir sagen, dass es ihm leidtut? Wird er mich bitten, ihm zu verzeihen? Die Antwort auf all diese Fragen ist: Nein.
Denn
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