Herzschlagzeilen
verbessert er sich.
Ich schließe die Augen und bete, dass er aufhört. Ich will das nicht. Dieses Mitleid, dieses ständige Sorgenmachen, ich ertrage das nicht.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, fauche ich ihn an. »Du machst dir ohnehin schon dauernd viel zu viele Sorgen! Ständig nur ›das ist gefährlich, jenes ist gefährlich, pass auf, trink nicht, rauch nicht, geh nicht zu spät ins Bett, geh mit keinem Fremden, surf nicht im Internet, guck nicht so viel Fernsehen‹. Verstehst du: Deine ganze Welt besteht nur noch aus Sorgen. Ich kann es einfach nicht mehr hören!«
Papa sieht mich plötzlich betroffen an. »Bin ich wirklich so schlimm?«
»Schlimmer«, sage ich und ziehe die Nase hoch.
Dann müssen wir beide lachen. Aber Papa wird wieder ernst.
»Kannst du mir nicht doch sagen, was los ist? Ist es wegen diesem …«, er überlegt, »diesem Marc?«
Ich schluchze auf. Woher hat Papa nur diese Fähigkeit, seinen Finger immer genau in die offenen Wunden zu legen? Tränen laufen mir übers Gesicht.
»Hat er dir wehgetan?« Papa klingt so besorgt, dass ich schnell den Kopf schüttele.
»Nein«, schniefe ich. »Jedenfalls nicht so, wie du denkst.«
Für einen Moment wirkt er erleichtert.
»Weißt du, Männer können manchmal richtige Idioten sein«, sagt er dann. »Sie jagen hinter irgendwas her und merken dabei gar nicht, wie sie über die Gefühle anderer hinwegtrampeln.«
Irritiert sehe ich Papa an. Was will er mir damit sagen? Redet er jetzt von mir und … Marc? Oder meint er am Ende sich und Mama? Ich hätte ihn gerne gefragt, aber ich traue mich nicht.
Papa steht auf.
»Ich hole mir einen Kaffee. Magst du auch einen?«
Ich nicke und bin dankbar für die kleine Pause, die er mir gönnt.
Als er wenige Minuten später mit zwei dampfenden Tassen zurück zu mir ins Zimmer kommt, rutsche ich schnell ein Stück zur Seite, damit er sich richtig aufs Bett setzen kann. Papa lehnt sich unter meinem Bücherregal an die Wand und zieht die Füße an. Richtig gemütlich sieht das aus. Mein Blick fällt auf das Regal über seinem Kopf. Ich muss an Kikis Vlogger-Aktion denken. Wie lange ist das jetzt her? Mir kommt es vor, als seien seitdem Jahre vergangen.
Vorsichtig nippe ich an dem heißen Kaffee. Dann nehme ich meinen ganzen Mut zusammen.
»Wie hast du das gemeint? Das mit den Männern und den Gefühlen, über die sie trampeln?«, frage ich.
Papa nimmt auch einen Schluck, bevor er mir antwortet.
»Als ich damals meinen Job verloren habe, war das zwar finanziell gesehen eine große Katastrophe, aber ich war eigentlich richtig froh darüber. Mein Job hat mir schon lange nicht mehr wirklich Spaß gemacht. Aber weil wir das Geld gebraucht haben und vermutlich auch, weil ich zu faul war, mir etwas anderes zu suchen, bin ich eben dort hängen geblieben.« Er trinkt wieder einen Schluck Kaffee, bevor er fortfährt.
»Als dann das Angebot für die neue Stelle kam, war ich überglücklich, denn auch wenn es anstrengend ist, ist das genau der Job, den ich gerne machen will. Natürlich haben deine Mutter und ich darüber gesprochen, wie wir das mit dem Geld lösen wollen, und als dann Mama den Job im Buchladen gefunden hat, habe ich zugesagt.«
Ich bin verwirrt. Warum erzählt Papa mir das alles? Und was hat das mit mir und Marc zu tun?
»Mein neuer Job macht mir wirklich sehr viel Spaß. Ich weiß, man sieht das vielleicht nicht so, weil ich so oft müde bin«, fügt er schnell hinzu, als er meinen skeptischen Gesichtsausdruck sieht. »Aber mich befriedigt es sehr, hier Menschen helfen zu können, die ohne unser Eingreifen vielleicht zugrunde gehen würden.«
»Aber du und Mama, ihr seht euch jetzt kaum noch«, murmele ich und bereue im selben Moment, etwas gesagt zu haben. Papa nickt.
»Genau das habe ich gemeint, als ich vorhin gesagt habe, dass wir manchmal richtige Trampel sind. Ich habe anfangs vor lauter Begeisterung über meinen neuen Job gar nicht gemerkt, dass es euch nicht gut geht damit.«
»Uns?« Erstaunt sehe ich ihn an.
»Na ja«, er zuckt mit den Schultern, »du bist doch total unglücklich, seit wir umgezogen sind. Und ich verstehe dich sogar. Ich fand unser altes Haus auch viel schöner als diese Wohnung«, sagt er schnell, als ich etwas einwenden will. »Und Mama war unglücklich, weil wir uns kaum noch gesehen haben.« Er macht eine Pause.
Ich denke an Mama bei der Vernissage und den fremden Mann an ihrer Seite und bekomme einen roten Kopf. Hat meine Mutter sich einen Ersatz
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