Herzschlagzeilen
Marc denkt gar nicht daran, mich anzurufen. Eine Einladung zu seiner Geburtstagsparty kann ich mir also abschminken. Und eigentlich will ich da auch gar nicht mehr hin. Warum auch? Mir doch egal, was mit ihm passiert. Soll er sich halt von jemand anderem retten lassen.
Endlich höre ich die Tür ins Schloss fallen. Kiki und Colin sind auf dem Weg in die Schule. Mama ist auch aufgebrochen. Natürlich nicht, ohne kurz nach mir zu sehen, mir Tee zu bringen und gute Besserung zu wünschen. Gesagt hat sie nichts. Wieder mal. Sie hat mich nur ganz lange nachdenklich angeschaut. Dann meinte sie, ich solle einfach mal einen Tag im Bett bleiben und morgen ginge es mir bestimmt wieder besser.
»So wichtig ist so ein Praktikum ja auch wieder nicht«, sagte sie noch zum Abschied.
Ich rufe in der Redaktion an, um mich krankzumelden. Rosa Tinkerbell ist schon am Platz. Wie immer. Sie klingt ehrlich besorgt und wünscht mir gute Besserung. Schade. Drei freie Wünsche hätte ich besser gebrauchen können. Und jetzt? Ich lege mich zurück in mein Bett und ziehe mir die Bettdecke bis über den Kopf. Ich werde dieses Zimmer einfach nie wieder verlassen, beschließe ich. Weil ich nämlich weder Luke noch Marc noch sonst irgendjemandem je wieder begegnen will. Luke. Ich will nicht an ihn denken. Jedes Mal, wenn ich an ihn denke, sehe ich sein Gesicht vor mir, seinen entsetzten Blick, als er mich zusammen mit Marc erwischt und fotografiert hat. Und ich spüre, dass ich in Bezug auf Luke etwas verloren habe, das vorher da war.
Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, läuft ein Stück über meine Wange und tropft dann aufs Bett. Wie es wohl gewesen wäre, mit Luke statt mit Marc im Kino zu sein? Ich muss nicht darüber nachdenken. Ich weiß auch so, dass es viel, viel besser gewesen wäre. Luke würde mich niemals einfach in einen Film schleppen, den ich nicht sehen will. Noch nicht mal in
Star Wars
, denke ich und muss grinsen. Dann werde ich wieder ernst. Luke würde mir auch niemals wehtun oder sonst irgendetwas machen, das ich nicht mag. Eine zweite Träne löst sich, diesmal auf der anderen Seite, und ich spüre ihrem Weg nach, bis auch sie aufs Bett tropft.
Ich wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht und versuche damit, auch die Gedanken an Luke wegzuwischen.
Diese Erkenntnis kommt zu spät, Emily Isabelle Heimbucher. Jetzt sieh zu, wie du aus dem Schlamassel wieder rauskommst.
Es klopft. Es klopft, und genau in dem Moment fällt mir auf, wie ungewöhnlich das ist. Bisher hat es doch nie jemand für nötig gehalten, hier anzuklopfen.
»Es ist offen«, rufe ich und ziehe die Nase hoch.
Papa streckt den Kopf zur Tür hinein.
»Kann ich reinkommen?«, fragt er und wartet tatsächlich erst noch auf meine Antwort.
»Natürlich«, sage ich und setze mich hin.
»Darf ich?« Papa deutet auf mein Bett und ich nicke nur. Warum habe ich denn plötzlich so einen dicken Kloß im Hals? Ich schlucke ein paarmal, aber der Kloß will nicht verschwinden.
»Ich glaube, wir sollten einmal miteinander reden«, fängt Papa an, nachdem er sich etwas umständlich auf meine Bettkante gesetzt hat, und ich stöhne auf. Irritiert sieht mein Vater mich an.
»Wenn das so eins deiner typischen Vater-Tochter-Gespräche werden soll, kannst du gleich wieder gehen«, sage ich mürrisch und krieche vorsichtshalber schon mal ein bisschen tiefer unter die Bettdecke.
»Warum bist du heute nicht in der Redaktion?«, fragt Papa statt einer Antwort.
»Weil ich krank bin!«
»Du bist nicht krank. Zumindest nicht körperlich«, antwortet er. »Aber ich glaube dir, wenn du sagst, dass es dir nicht gut geht.«
Fast fange ich an zu heulen. Was ist denn heute nur mit mir los?
»Du weißt, dass du mit uns über alles reden kannst, oder?«
Ich nicke nur. Gerade im Moment kann ich nämlich überhaupt nicht reden.
Papa seufzt.
»Du hattest doch immer so konkrete Ziele. Du willst Journalistin werden, hast du das vergessen?«
Ich schüttele den Kopf.
»Ich habe dich immer bewundert für deine Zielstrebigkeit.
Du hast schon so früh immer ganz genau gewusst, was du willst, und hast für deine Träume gekämpft. Das schaffen ja selbst viele Erwachsene nicht.«
Er streicht mir vorsichtig über das Haar.
»Wenn du also plötzlich nicht mehr in die Redaktion gehst, wenn du deinen Traum plötzlich aufgibst, dann ist irgendetwas passiert, das dich dazu gebracht hat. Und über dieses ›irgendetwas‹ mache ich mir Sorgen. Machen
wir
uns Sorgen, Isa«,
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