Herzüberkopf (German Edition)
der Hälfte seiner Familie, die aus dessen Schwester Angelina, dem jüngeren Bruder, seinem Vater und seiner Mutter bestand und fast immer den Tisch vor der Theke besetzt hatte wie üblich aufs herzlichste begrüßt. Louis mochte diese italienische Familie und fühlte sich wohl in diesem Familienkreis, in dem er stets willkommen war. Später kam in dem Restaurant viel Betrieb auf und die Familie hatte viel zu tun, was dazu führte, dass Louis mit seinem Sohn alleine am Tisch saß, was eher selten vorkam. Nachdem Morris ein wenig von sich und seinen Aktivitäten der Woche erzählt hatte, was zu Hause in der Wohnung gewöhnlich nicht so frei weg vermittelt wurde, begann Louis das erste Mal von seiner Bekanntschaft mit Lea zu erzählen. Er erwähnte es wie nebenbei und wunderte sich, während er die Begegnungen schilderte, wie nahe Lea und er einander doch schon gekommen waren. Dabei ließ er die Sache mit der Fußmassage noch unerwähnt. Beim Erzählen durchflutete ihn wohlige Wärme im Brustbereich und er sah Lea förmlich vor sich, während er sich bemühte, das Erwähnenswerte doch eher belanglos zu schildern. Erst als Morris sich über das Vorankommen beim Manuskript erkundigte, fand Louis wieder einen Faden und lenkte in das andere Thema ein, jedoch nicht ohne Lea abermals im Zusammenhang des Manuskriptes zu erwähnen. Auf dem Rückweg bog Morris auf halbem Weg ab, um einen Freund aufzusuchen, mit dem er ein Treffen vereinbart hatte. Es war 14.00 Uhr durch und Louis sah zum Himmel hinauf; Zirruswolken säumten das Blau; es war ein herrlicher Hochsommertag, an dem zum Abend hin Gewitterschauer vorausgesagt worden waren. Louis beschloss seinen Rucksack zu packen und zum See zu fahren; er dachte sogleich an Lea, die sicherlich schon sehr viele Cafégäste zu versorgen hatte und wieder überlegte er, ob er nicht doch einmal in das Café gehen sollte; jedoch würde er wahrscheinlich nur dasitzen, weil Lea ohnehin keine Zeit haben würde und so beschloss er lieber nicht hinzugehen und sich stattdessen gleich am See einzufinden. Sonntags waren im Sommer, bei schönem Badewetter, sämtliche Parkplätze schon am Vormittag belegt und das Chaos entlang der Straßenränder, mit mehr oder weniger schräg geparkten Fahrzeugen, war groß. Louis stellte sein Auto an einem geeigneten Ort, nahe einer Eisenbahnbrücke ab und ging zu Fuß in Richtung See. Dabei kam er am Café vorbei und prompt sah er Lea auf der Terrasse. Mit straff zurückgebundenen Haaren und einer weit geschnittenen dunklen Hose, die ihre schlanke Größe und die langen Beine sehr vorteilhaft betonten, trug sie gerade ein beladenes Servicetablett zu einem Tisch, an dem ein Gast wartete. Louis spürte, wie sein Puls zu heizen begann und wie eine gewisse Freude in ihm aufkam, weil er sie sah. Kurz blieb er stehen und überlegte, ob er ihr zuwinken sollte, doch er ließ es sein und sah nur hin, bis sie wieder in der Eingangstüre zum Café verschwand. Hätte sie zufällig zum Weg hin geschaut; Louis hätte ihr zugewinkt. Zugerufen hätte er ihr nicht; das wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. So mied er auch Veranstaltungen, an denen die Menschen kreuz und quer herumschrien und jeder den anderen noch übertönte, um verstanden zu werden. Schon als kleiner Junge hatte er sich davongemacht, wenn es im Pausenhof der Schule allzu turbulent geworden war. Fußballspiele und Musikvereinsfeste waren für ihn von Kindheit her ein Gräuel. Auf einem Bauernhof aufgewachsen, war er an Stille gewöhnt. Die Geräusche der Tiere waren etwas völlig anderes, als der Lärm, der von Menschen erzeugt wurde. Schon Louis´ Vater war kein lauter Mensch gewesen, während seine Mutter das Feiern mehr mochte und deutlich unempfindlicher gewesen war. Einen großen Einfluss hatte Tante Luise-Henrike auf Louis gehabt, deren Hof es gewesen war. Sie war eine Kriegswitwe mit angeschlagener Gesundheit gewesen und hatte Literatur, Kunst und klassische Musik geliebt, die sie dem kleinen Louis schon früh vermittelte, wann immer Gelegenheit dazu geboten war. Und diese Gelegenheiten waren oft, denn Louis´ Eltern hatten wenig Zeit gehabt und so war er während seiner Schulzeit meist unter Tante Luises Fittichen, bis die Schulaufgaben gemacht waren und er endlich in die herrliche Natur ausschwärmen hatte können.
Als Lea unter der Tür verschwunden war, ging Louis weiter zum See. Der inzwischen an Seelenwert gewachsene Platz am Stein war frei und Louis fühlte Glück bei dem Anblick dessen.
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