Herzüberkopf (German Edition)
sehen sogar mehr und sehen Dinge, die andere nicht sehen können. Und es ist wie mit allem: Irgendwann kommt der rechte Zeitpunkt, dann steht man auf und geht das an, was längst; versteckt zwar, doch im Bewusstsein geschlummert hat.
Als es genug des Sonnenbadens war, zogen sich Lea und Louis wieder ins Hotel zurück. Es fühlte sich gut an, als sie auf dem Hof des Gebäudes vorfuhren und den Roller versorgten; beinahe so, als wären sie schon als Paar angereist gekommen. Señora Margaritha lächelte entspannt, als sie ihnen im Vestibül begegneten. Ihr Zimmer war frisch gemacht worden und sie fanden Schokolade und eine Flasche Rotwein als Gastgeschenk vor. Etwas später, ohne einleitend darüber gesprochen zu haben, blickten sie sich an und Louis meinte, dass es wohl an der Zeit sei, aufzubrechen und Leas Sachen zu holen. Lea wirkte bedrückt und Louis kam nicht umhin, sie noch einmal zu fragen, ob sie es wirklich wollte oder ob sie den Aufenthalt im Camp bei der Gruppe bevorzugte. Lea konnte es nicht sagen – sie war zwischen Moral und Wunsch hin und her gerissen. In dem Moment, als Louis nachdenklich wurde und sich Selbstvorwürfe machte, weil er aus einem gewissen Egoismus heraus dieses Unternehmen gestartet hatte, Lea in Korfu aufzusuchen; zeitweise und gerade in jenen Momenten sah er durchaus die Kehrseite der ganzen Angelegenheit, merkte Lea es und fing ihn auf, indem sie ihn mit guter Laune, welche einen Hauch Sarkasmus enthielt, aufmunterte. Schnell war die lausbübische Abenteuerlust wieder hergestellt und so starteten sie zum Camp an die Westküste, ohne genau zu wissen, wie es ausgehen würde. Es war die Mitte des Nachmittags, als sie Vatos erreichten. Diesmal schien die Fahrt so einfach, weil es Tag war und Louis sich die Strecke ganz gut merken hatte können; somit brauchte er kein einziges Mal die Karte. Die Busse fehlten am Parkplatz, als sie am Camp ankamen; Louis fuhr diesmal durchs offene Tor und Lea leitete ihn direkt vor das Haus Maria. Lea atmete tief ein und wieder aus, stieg vom Roller und bat Louis zunächst zu warten, denn sie wollte im Haus nach ihren Sachen sehen. Die Tür ging auf und drei Jungs erschienen, pfiffen durch die Zähne und grinsten mit Ausnahme von einem, bei dem es Louis in einem Blick klar war, dass er nur der Ex-Freund von Lea sein konnte. Ihre Blicke trafen sich; Louis verhielt sich ruhig und blieb auf dem Roller sitzen, während Lea unter Protesttiraden der Anwesenden ins Haus ging. Kaum war Lea unter den Blicken der Umherstehenden im Haus verschwunden, wandte sich von der Treppe her der Eine an Louis und zischte abfällig:
„Wie kann einer, der so alt ist wie du, sich an eine wie Lea dranmachen?“ Louis war es bewusst, dass bei dem Kerl die Emotion überkochte. Lea hatte Andeutungen gemacht. Louis war nicht der Mann, der klein bei gab. So antwortete er ruhig:
„Es macht keinen Sinn darüber zu reden. Es ist so wie es ist. Ob es dir passt oder nicht. Niemand hat Lea zu ihrer Entscheidung gezwungen“.
„Lea … Lea … ich krieg die Krise, wenn …“
„Wenn was?“, fragte Louis jetzt mit schärferem Ton und zog den Roller auf den Ständer. Die Situation war am Siedepunkt angelangt und wenn der Kerl in diesem Augenblick ein abfälliges Wort über Lea gesagt hätte, wäre es zum Eklat gekommen. Die anderen verhielten sich stumm mit gekreuzten Armen. Louis hatte keine Furcht, obgleich ihm derartige Auseinandersetzungen absolut zuwider waren. Manchmal ging es eben nicht anders und so wartete Louis konzentriert auf jene klitzekleine falsche Reaktion des Gegners, um zu handeln. Dieser musste es gespürt haben und blieb stumm, zog sich auf die Terrasse zurück und murmelte etwas Unverständliches. Die Situation wurde letztendlich entschärft, weil Lea mit Monia unter der Tür erschien. Lea war wütend, das konnte Louis deutlich erkennen. Jemand hatte mit ihren Sachen Unfug getrieben. Sie hatte mit Monia gesprochen und es sah für Louis ganz danach aus, als ob Lea ihre Sachen für den Umzug nach Dassia gepackt hatte. Ein zusammengerollter Schlafsack, ein Rucksack und ein Koffer; obendrein noch eine Tasche. Das war alles. Die Jungs schauten verachtend zu, wie Lea alles zum Roller brachte. Louis hatte zunächst Zweifel, alles verstauen zu können, doch Not macht bekanntlich erfinderisch und einige Minuten später umarmte Lea ihre beste Freundin, schwang den Rucksack um und setzte sich vorsichtig auf den übervoll beladenen Roller; und so fuhren sie
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