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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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Alle anderen Figuren
    des Buches sind Archetypen im Sinne C. G. Jungs. Jung hatte die
    These aufgestellt, daß jede einzelne Seele im Prozeß ihrer Indivi-
    duation eine eigene Mythologie ausbildet, die selber ein Teil des
    Kreislaufs der großen Mythologien der Menschheit ist. Es gibt ein
    kollektiv vererbtes Unterbewußtsein, einen verborgenen Erfah-
    rungsschatz an Symbolen und Riten, den der Einzelne erst wieder
    als Zeichen des kollektiven Gesamtmythos verstehen lernen muß.
    Der wichtigste Archetypus im Buch ist zweifellos Demian. Alles
    was Sinclair (noch) nicht ist, stellt Demian vor. Er verkörpert
    gleichsam die platonische Idee, die Emil Sinclair unklar verworren
    in sich trägt und der er sich anzuverwandeln trachtet. (Weitere
    Archetypen des Buches sind Beatrice und ↑ Frau Eva. ) Der Aufbau des Buches folgt dem des inneren Wachstums. Zum Schlüsselsatz
    wird: »Der Vogel kämpft sich aus dem Ei.« Ein Durchbruch! Im
    Zurücklassen der äußeren Welt finde ich mich selbst, um so auch
    – später vielleicht – wieder im Waffenstillstand mit der äußeren
    Welt leben zu können. Das macht die Vitalität dieses Buches aus,
    das um das Problem Nietzsches kreist: Wie man wird, was man
    ist. Hesse erkennt, daß das Bürger-Künstler-Problem (das ihn als
    Erfolgsautor, Ehemann und Vater dreier Kinder beschäftigt) ein
    abgeleitetes ist. Der Grundkonflikt ist der zwischen der apollini-
    schen (klar-ebenmäßigen) und der dionysischen (chaotisch-
    wilden) Tendenz in jeder gestalterischen Arbeit, der letztlich zu
    einem Wesenskonflikt im Künstler selbst wird.
    Auch Emil Sinclair bemerkt das gefährlich Dunkle im Wesen alles
    Schöpferischen, das Sexuell-Triebhafte, das sich zu einer (selbst-)
    zerstörerischen Gewalt steigern kann. Er erlebt es als eine Anfech-
    tung des Bösen, die er im Geiste des Guten abwehren will. Er lernt
    – an seinem Alter ego Demian -, daß Souveränität nicht aus ge-
    schlechtlicher Askese kommen kann. Denn das Geschlechtliche ist
    die innigste Wurzel des Schöpferischen. Zu dieser Erfahrung ge-
    langt auch Hesse, indem er Emil Sinclair wachsen läßt. Man muß
    lernen, mit den dunklen Trieben zu leben, versuchen sie zu kulti-
    vieren. Wer sie aber wegsperrt, macht sich erst recht zu ihrem
    Gefangenen und kappt in diesem unfruchtbaren Kampf auch die
    tief hinab ins Naturhafte reichenden Wurzeln des Künstlertums.
    Mit »Demian« tritt Hesse aus dem Sündenschatten heraus, in dem
    sich der mit seinem pietistischen Elternhaus zerfallene, aber den-
    noch tief vom Pietismus geprägte Hesse unbewußt immer noch
    befindet. Auf dem Wege der Psychotherapie wird Hesse entschei-
    dungsfähig auch für sein privates Leben: Das Sinnliche befreit
    sich vom Schuldvorwurf seines puritanischen Elternhauses. Und
    künstlerisch entsteht mit dem »Demian« der erste rein psycholo-
    gische Entwicklungsroman, der den Prozeß einer seelischen Rei-
    fung zeigt: Im artistischen Nachvollzug der psychotherapeutischen
    Sitzungen bei Dr. Lang überwindet der Künstler Hesse schließlich
    den Patienten Hesse.
    »Demian« ist ein modernes Buch, auch, weil es ganz im Sinne
    Nietzsches Immoralismus geschrieben ist. Nietzsches Lehre, nicht
    dem Lehrenden, sondern sich selbst zu folgen, wendet Hesse zu-
    letzt auch gegen seinen Therapeuten Dr. Lang, alias Pistorius, den
    Emil Sinclair mit den Worten seelisch überwindet: »Das, was Sie
    da sagen, ist so verflucht - antiquarisch.« Eine erste Konsequenz,
    die Hesse aus den therapeutischen Sitzungen bei Dr. Lang zieht,
    ist die Trennung von Maria Bernoulli. Die Heirat mit ihr anerkennt
    er nun als einen Fehler, an dessen Korrektur er entschlossen geht.
    Er ist sich gewiß geworden, daß er diese Konsequenz ziehen muß,
    wenn er noch eine Zukunft als Künstler haben will. Eine Zukunft,
    die mit dem bloß gewohnheitsmäßig verlängerten Gestern bre-
    chen muß.
    Des weiteren wird »Demian« ein Schritt auf Hesses Weg zum pro-
    testantischen Mystiker. Er knüpft an sein Herkommen an, ohne
    sich von diesem gefangennehmen zu lassen. Darum auch wird
    ↑ Abraxas, d ieser Ur-Vogel, der die schärfsten Gegensätze, die wir in uns tragen, in sich vereint, zum zentralen Symbol des Buches.
    Abraxas ist ein höchst dialektischer Vogel. Er ist es, der hier aus
    dem Ei kriecht. Das Künstler-Ich, das mit einem Abgrund kämpft,
    aus dem es kroch und der nun an ihm zerrt. ↑ Vogel: Immer auch
    ein Synonym für Hesse selbst, wie wir aus seinen Märchen wis-
    sen. In dieser Optik

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