Hesse-ABC
ist die Vernunft, die es anzustreben gilt, jene,
die ihren triebhaften Grund noch spürt und vom Guten weiß, daß
es das Böse immer schon in sich trägt. Hesse knüpft hier an den
Dualismus des gnostischen Weltbildes an, das neben den einen
Gott immer noch weitere Schöpfer stellt. Alles entspringt aus sei-
nem Gegenteil, aus dem Kampf. »Der Demiurg ist ein Zwitter«,
lauten die Schlußsätze aus Alfred Rubins symbolistischem Buch
»Die andere Seite«. Der Demiurg, das ist der Weltschöpfer der
Gnosis, die erdzugewandt-tätige Gottheit. Sein Tun verstrickt ihn
in Widersprüche. Er wird zwangsläufig schuldig.
Es gibt immer zwei große widerstreitende Kräfte in uns. Wie Tag
und Nacht. Eine konstruktiv, die andere destruktiv, eine human-
vernünftig, die andere triebhaft-gewalttätig. Wie mit Himmel und
Hölle in der Brust leben? Das ist nach der Erfahrung des Ersten
Weltkrieges Hesses Frage an sich selbst. Künstler und Bürger zu-
gleich sein, ein kubinsches Zwitterwesen: Der Künstler, der sich in
eine ihm bedrohliche Welt geworfen sieht, der er, als Künstler
immerhin selbst Weltschöpfer, sich nun wehrlos ausgeliefert
sieht. Den machtvoll-ohnmächtigen Bürger-Künstler hat Thomas
Mann auf ebenso subtile wie anachronistische Weise kultiviert.
Hesse erschien 1917 dieser Widerspruch (wie so vielen anderen,
die sich politisch radikalisierten oder in die Bewußtlosigkeit des
Rausches flohen) unlebbar geworden. Ab jetzt wird ihm das Leben
im Zeichen des Ur-Vogels Abraxas zur Dauerkrise – jedoch einer,
die um ihren künstlerischen Ausdruck als seelische Krise der mo-
dernen Zivil isation ringt.
Deutsch
Hugo Ball hat Hesses antinationalistische Deutschlandliebe die
eines ↑ »Klingsor-Deutschen« genannt, und Stefan Zweig sagt es
so: »Er ist ein edler und aufrichtiger Charakter und deutsch im
guten Sinne des alten Deutschlands. Dichter in der Stille, Pasto-
rensohn wie Mörike, umfaßt er die ganze Welt von seinem kleinen
Fleck her. Ohne Hochmut, voll guten Willens und zugleich stark.«
Und Thomas Mann betont – Hesse gegen die andauernde
deutschnationale Kritik in Schutz nehmend – gerade »das Deut-
sche« seiner Texte: »Welche Ignoranz, welche Unbildung, um es
recht deutsch zu sagen, gehört dazu, diese Nachtigall (denn ein
bürgerlicher Kanari ist er freilich nicht) ihres deutschen Waldes zu
verweisen, diesen Lyriker, den Mörike gerührt in die Arme schlös-
se, der aus unserer Sprache Gebilde von weichstem und reinstem
Umriß hob, Lieder und Sprüche des innigsten Kunstgeschmacks
daraus entband, einen ›Elenden zu schimpfen‹, der sein Deutsch-
tum verrät, - nur weil er die Idee von der Erscheinung trennt, die
sie oft erniedrigt, weil er dem Volk seines Ursprungs die Wahrheit
sagt.«
Die Hesse
Hesse, der sich selbst gern mit einem ↑ Vogel verglich, forderte damit natürlich auch den Spott seiner Kollegen heraus. So höhnte
Franz Blei über die Frei-wie-ein-Vogel-Allegorien Hesses: »Die
Hesse, so wird eine liebliche Waldtaube genannt, die man aber
wild nicht mehr antrifft. Ihrer Zierlichkeit wegen wurde sie ein
beliebter Käfigvogel...« Dieser domestizierte Vogel ergötze die
Zuschauer damit, daß er sich immer noch wie im freien Walde
gebärde, wobei er zu allem Überfluß einen Geruch absondere, der
»leise an Tannenduft erinnert«.
Dolbin, Ninon
Hesses dritte Frau. Als Vierzehnjährige wird Ninon Ausländer vom
»Peter Camenzind« verzaubert. Seitdem schreibt sie Hesse kluge,
einfühlsame Briefe und hat nur einen Wunsch: den bewunderten
Dichter kennenzulernen. Hesse ist für sie ein »ferner Gott«, dem
sie dienen will. Das bleibt er auch, als sie später Kunstgeschichte
studiert und mit dreiundzwanzig Jahren den Ingenieur und Karika-
turisten Fred Dolbin heiratet. Das erste Mal sieht sie Hesse im
Sommer 1922 in Montagnola und dann vier Jahre nicht mehr.
Jetzt im Winter 1925/26, den Hesse in ↑ Zürich zubringt und in Steppenwolf-Laune ist, begegnen sie sich wieder. Sie, die dreißig-jährige Jüdin aus Czernowitz, in ihrer Ehe unglücklich, besucht
den bald fünfzigjährigen Dichter auf der Durchreise von Genf nach
Wien. Hesse befindet sich in einer tiefen Krise, pendelt zwischen
Trübsinn und Exzeß. Er entdeckt den Maskenball und den Tanz.
Die schnellen und leichten Liebesaffären beflügeln und bedrücken
ihn zugleich. Schließlich ist er ein grauhaariger gichtkranker älte-
rer Herr, der anderes zu tun haben sollte.
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