Hesse-ABC
ihm zieht und zerrt - eine junge schöne Frau. So vor die
Wahl gestellt, hat er keine Wahl, läßt das Kloster Kloster sein und
reist der schönen Frau hinterher. Hesse erzählt von der ausblei-
benden Bekehrung mit sichtlicher Genugtuung.
Casa Rossa
Der Arzt H. C. Bodmer läßt dieses Haus für Hermann Hesse bauen,
ganz nach dessen Vorstellungen. Das Ansinnen Bodmers, ihm das
Haus am Ortsrand von Montagnola zu schenken, lehnt Hesse je-
doch ab. Man einigt sich auf lebenslanges Wohnrecht. Zum Haus
gehört ein großes Grundstück mit einem Weinberg. 1931 ziehen
Hermann Hesse und Ninon Dolbin ein. Im selben Jahr heiraten sie.
Das Haus besteht praktisch aus zwei Wohnungen. Böse Spötter
behaupten, daß Ninon jeden Besuch erst schriftlich anmeldete.
Das ist natürlich übertrieben. Richtig ist jedoch, das Hesses Ruhe-
bedürfnis oberster Grundsatz des mehr oder weniger gemeinsa-
men Lebens war. Darauf hatte Hesse, aus der bitteren Erfahrung
seiner beiden ersten Ehen klug geworden, bestanden. Aber Hesse
ist auch mehr und mehr auf Ninons Mitarbeit angewiesen. Er be-
steht nicht nur auf Distanz, sondern sucht auch Ninons Nähe.
Denn er kann seine Augen kaum noch belasten, und Ninon liest
ihm vor. Ninon akzeptiert die Regeln dieses Zusammenlebens, ihr
Ideal ist das der dienenden Liebe für den bewunderten Dichter.
Und richtiges Dienen, so ahnt sie, besteht nicht nur darin, »da zu
sein, wenn einer den anderen braucht, sondern vor allem darin:
nicht da zu sein, wenn einer den anderen nicht braucht«.
Bis zu ihrem Tod wohnen sie in der »Casa Rossa«. Nach Ninon
Hesses Tod 1966 fiel das Haus an die Erben der früheren Besitzer
zurück.
Charakterschwächen
Robert Musil, der vielleicht wichtigste deutschsprachige Autor des
20. Jahrhunderts, schrieb 1931 artig an Hermann Hesse: »Ich bin
ein großer Verehrer ihrer Kunst.« 1938 räsonierte er dann aller-
dings in jenem gehässigen Ton, in dem er oft über Kollegen her-
zog, über die »Schwächen eines Großschriftstellers«: »Er verträgt
keinen Lärm im Haus, keine Unregelmäßigkeiten der Tageseintei-
lung von Arbeit, Lektüre, Spaziergang, Mahlzeit und Nachtruhe.
Alles sehr begreiflich; das einzig Komische ist, daß er die Schwä-
chen eines größeren Schriftstellers hat, als ihm zukäme. Man ist
heute Großschriftsteller ohne schriftstellerische Größe.« Die eige-
ne hochempfindliche Natur hält Musil ganz zweifellos durch sein
Werk gerechtfertigt. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Chopin
Der wohl wichtigste Komponist für den jungen Hesse. Am Anfang
noch wichtiger als der innigst geliebte ↑ Mozart , weil Chopin, wie Hesse sehr früh bemerkt, ihm seelisch gleichgestimmt ist: »Ich
liebe ihn, wie ich außer Mozart keinen Musiker liebe, und ich wün-
sche meinem geträumten Liede eben die Wirkung, die Chopin auf
mich ausübt.« (1896) Und ein Jahr später teilt er seinen Eltern mit:
»Aber was für Nietzsche Wagner war, ist für mich Chopin – oder
noch mehr.«
Es ist die ↑ Musik, die Hesse zum Dichter macht, wie es die Malerei ist, die es ihn in der Lebensmitte bleiben läßt. Am Anfang, als
Zwanzigjähriger, sieht er in Chopin das romantische Bild vom
Künstler zur Blüte gekommen: »Mit diesen warmen, lebendigen
Melodien, mit dieser pikanten, lasziven, nervösen Harmonie, mit
dieser ganzen so ungemein intimen Musik Chopins hängt alles
Wesentliche meines geistigen und seelischen Lebens zusammen.«
Man kann sich vorstellen, wie bestürzt die frommen Pietisten-
Eltern über dies Bekenntnis des Zwanzigjährigen waren. Das sich
im virtuosen Spiel Verbergende, das Zwitterhafte an Chopin ist es,
das ihn fasziniert: »Und dann bestaune ich an Chopin eben immer
wieder die Vornehmheit, die Zurückhaltung, die vollendete Souve-
ränität seines Wesens. An ihm ist alles adelig, wenn auch man-
ches degeneriert.«
An Chopin erfährt Hesse eine Überwältigung, die zur inneren Be-
freiung für ihn wird: die moralische Rechtfertigung des Eros als
Grundstimmung des Künstlers. Nach dem Ersten Weltkrieg tritt
der romantisch verspielte Chopin jedoch zunehmend hinter den
»klassischen« Mozart zurück. Hesse ist gegen das Romantische
der eigenen Anfänge skeptisch geworden und bevorzugt nun die
ebenso strenge wie klare Form, aus der er Mozarts große Heiter-
keit hervortreten sieht.
D
Dekadenz
Georg Lukács, der in seiner Jugend einmal ein kluger Kopf war,
bis er sich unter das Diktat von Stalins
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