Hesse-ABC
Allgemeinheit, die offizielle Welt mir mit drohen-
den Ansprüchen genähert hatte, daß es nach dem Erscheinen des
Polizisten auf dem knatternden Rade ausgesehen hatte, als wolle
mir die Welt meinen Beruf wieder einmal entweder verbieten oder
mich seine Duldung mit unverhältnismäßigen, mit übergroßen
und unerträglichen Opfern bezahlen lassen – und daß dann alles
auf eine Zeremonie und auf einen Spaß hinauslief und die Welt
nichts weiter von mir verlangte, als zwei oder drei Stunden Zeche-
rei mit einer Stube voll harmloser Leute, die mich am nächsten
Tage nicht mehr kannten, noch von mir verlangten, daß ich sie
kenne.«
Nürnberger Reise
Erschien 1927, parallel zum »Steppenwolf«. Zugrunde liegt diesem
Text eine zweimonatige Reise zu mehreren Vorlesungen in Ulm,
Augsburg und Nürnberg, die Hesse 1925 eher widerstrebend un-
ternahm, weil ihm öffentliche Auftritte aller Art zuwider waren.
Mit dem ↑ » Kurgast « ist dieser einer der wenigen unmittelbar au-tobiographischen Texte Hesses. Die zuerst so unscheinbar wir-
kende persönliche Reiseschilderung wächst sich dann mehr und
mehr zur fundamentalen Kritik an der modernen ↑ Maschinenkultur
aus. Letztlich ist es Ofterdingens Blaue Blume, ein romantisches
Sehnen, das ihn doch losfahren läßt ins Schwabenland. So also
wird diese Reise »geboren aus dunkler Erinnerung an die schöne
Lau und den Dichter Mörike, nun bestimmt, mich zu den Klängen
meiner Frühzeit zurückzuführen«.
Hesse ist, wie so oft, in einer tiefen Krise, als er abfährt: in »Step-penwolfstimmung«. Er ist chronisch krank, Gicht und Augen-
schmerzen plagen ihn. Seine zweite Frau, Ruth ↑ Wenger, m it der er nie richtig zusammengelebt hat, läßt sich 1927 von ihm scheiden. Es handele sich bei Hesse um einen »Eremiten, Sonderling,
Neurotiker, Schlaflosen und Psychopathen«, befindet das Gericht
und stützt sich dabei auf eine Selbstaussage Hesses aus seiner
»Nürnberger Reise«. Der Bruder seiner ersten Frau Maria
↑ Bernoulli hat gerade Selbstmord begangen, und ihre Nerven-krankheit ist daraufhin wieder ausgebrochen. Die ständig von Ort
zu Ort hin und her gestoßenen Söhne zeigen bereits Verhaltens-
störungen und haben Schulprobleme. Das ist die Situation, in der
Hesse auf seine Reise geht. Eine Flucht und ein Versuch, Heimat
wiederzufinden, gleichermaßen. Auch während dieser beiden so
harmlos zur Erholung und zum Besuch bei Freunden geplanten
Monate trägt er den »Steppenwolf« mit sich. Das Nietzschewort
vom auf die Katastrophe hin gebauten Werk steht drohend im
Raume. Während dieser Reise entschließt sich Hesse zur größt-
möglichen Radikalität seines Angriffs auf den faulen Konsens der
alten bürgerlichen Ordnung, die den Mangel an Inhalt und Form
immer nur von außen mittels technischer Aufrüstung zu kompen-
sieren versucht. Heraus tritt am Ende der diesen Konsens aufkün-
digende ↑ Steppenwolf Harry Haller. Die Reise wird auch zu einem Lebensresümee. Hesse weiß, er ist ein Außenseiter, eine Zumutung für alle Menschen in seiner Nähe. Vor allem ein »unmoder-
ner Mensch«: »Womit leben wir denn eigentlich, wo spüren wir
das Leben, wenn nicht in unseren Gefühlen? Was hilft mir ein vol-
ler Geldsack, ein gutes Bankkonto, eine flotte Bügelfalte und ein
hübsches Mädchen, wenn ich dabei nichts fühle, wenn meine See-
le sich nicht rührt?«
Hesse entschließt sich, sein Außenseitertum als besondere Opfer
fordernde Auszeichnung zu bejahen: »Auf die Dauer ist es mir nie
geglückt, mich einem Kreise anzuschließen, irgendwo zugehörig
zu sein und mitzuerleben, irgendeine Art von ständiger Symbiose
mit anderen zu erreichen. Dafür habe ich immer das Glück gehabt,
für kürzere Zwischenzeiten liebe Freunde zu gewinnen und ohne
Vorsicht und Politik reden und mich geben zu können.« Es sind
immer nur seltene Momente, in denen sich Hesse in glücklicher
Übereinstimmung mit seiner Umgebung mit anderen Menschen
befindet: »In keiner Kunst bin ich so sehr Dilettant und Anfänger
wie in der der Geselligkeit, aber keine entzückt mich mehr als sie
in den seltenen Stunden, wo ich sie in wohlwollender Umgebung
üben darf.«
Und noch einen weiteren Nachteil, immer nur abseits der Metro-
polen leben zu können, vermag er jetzt als Vorzug zu bejahen:
»Zur Stadt habe ich, auch heute noch, ein völlig ländliches und
kindliches Verhältnis.«
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Ausruf höchster Begeisterung. Von Hesse
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