Hesse-ABC
zu züchtenden) neuen geistigen Elite ge-
prägtes sein soll. Ein »Orden«, der um eine die herrschende
Interessenhaftigkeit übersteigende Sinnhaftigkeit des Ganzen
weiß. Aber auch so ein »Orden« in pädagogischer Absicht ist nur,
das zeigt der zweite Teil des »Glasperlenspiels« über den Ausstei-
ger, »magister ludi« Josef Knecht, eine Phase auf dem Weg der
Vervollkommnung. Diese geht über alle institutionellen Separie-
rungen hinweg - verbindet den Einzelnen unmittelbar mit dem
Geistigen. Das ist es auch, was der lebenslang intensiv die Litera-
tur des frühen 18. Jahrhunderts studierende Hesse von der aus
dem Pietismus hervorgehenden christlichen Erweckungsbewe-
gung (Bengel, Oetinger) und ihrer antischolastischen Glaubens-
frömmigkeit gelernt hat: die »unio mystica« des
auseinanderstrebenden Endlichsichtbaren im Unendlich-
unsichtbaren Ganzen des Geistes.
Dies entspricht auch der Geschichtsmethode Gottfried Arnolds in
der »Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie« (1699/1700), die
einen entscheidenden Einfluß auf den jungen Goethe hatte. Der
Gedanke der »Unparteilichkeit« ist es schließlich, der Josef Knecht
bis zur Aufgabe gleichgültig gegenüber Amt und Würden (Macht)
werden läßt, aber es ist eine Gleichgültigkeit (gegen die Versu-
chungen der Eitelkeit), die aus einer Verantwortung dem Geistigen
gegenüber kommt.
Bewußt wendet sich Hesse hier auch dem pietistischen Erbe sei-
ner Eltern und damit dem Bildungsproblem wieder zu. Hesse wie-
derholt gleichsam den Versuch Hermann Heilners aus ↑ » Unterm
Rad«, s ich zu bilden (in Goethes Sinne: menschlich zu vervoll-kommnen). Und diesmal gelingt es. Aber nur weil hier keine Wis-
senseinpauker am Werke sind, sondern der »Meister« Josef
Knecht sich einen Jünger sucht, dessen Bildung er sich widmet.
Hesse schreibt – als sein deklariertes Hauptwerk – dies mitunter
schwerblütig-hölzern wirkende große Traktat über Erziehung, weil
er es nach 1933 als das entscheidende Thema der Zeit begreift.
Wie kann man die jungen, von der nationalsozialistischen Haß-
Ideologie so furchtbar mißhandelten und verstümmelten Seelen
retten? Hier offenbart sich Hesses Bildungsideal: als Heilung
durch Harmonisierung. Musik wird zur universalen und unzerstör-
baren Sprache der Humanität. Darum hat Hesse unter dem Ein-
druck der Kulturzerstörung, der versuchten Auslöschung allen
verantwortlichen Denkens in Deutschland, seine geistige Gegen-
republik entworfen, die sich an Goethes »pädagogischer Provinz«
schult: Kastalien.
Partei
Hesse ist unparteiisch im Sinne des Ketzerchronisten Gottfried
↑ Arnold . Radikal die eigene, niemals eine fremde Position, gar die der unterdrückten, fortschrittlichen oder leidenden – welche Attri-bute sich die Abstraktion auch immer sucht – Menschheit vertre-
tend. In seinem »Entwurf zum Brief an einen Kommunisten«
schreibt er: »Ich diene dem Geist, und wo eine Partei den Geist
vergewaltigt, hat sie mich zum Gegner.« Die eigene Unabhängig-
keit ist es, die dem Urteil erst seinen Wert gibt. Mit einem Satz
von Adolf Dresen gesagt: Einsicht in die Notwendigkeit nur da, wo
die Notwendigkeit Einsicht in die Freiheit hat. Vom Standpunkt
einer Partei aus aber kann man nur nach dem Sich-in-den-Dienst-
einer-Sache-Stellen fragen. »Jede Partei stellt solche Fragen an
die Vertreter des Geistes. Sie sind falsch gestellt, und können
nicht beantwortet werden.« Worauf es Hesse ankommt, das sagt
er über den ↑ Kommunismus , dessen Folgerichtigkeit er anerkennt, so wie nach dem Herbst der Winter folge, aber dessen Parteigeist
er strikt ablehnt: »Die Mode-Kommunisten werden eine Weile blü-
hen, und werden abwelken, und es wird sich nichts verändert ha-
ben. Die echten Gestalter und Deuter des Lebens aber werden
auch im Reich der Zukunft nicht Ausrufer und Plakatmaler von
Programmen sein, sie werden auch im kommunistischen Staate
eigensinnig und schwierig sein und sich nicht nach vorn drängen,
und werden, auch wo sie dem souveränen Volk nicht schmeicheln,
keine unwürdigen Genossen sein. Viele werden es nicht sein, sie
kommen nicht in Rudeln zur Welt, und wenn man sie terrorisieren
und gegen ihr Gewissen gebrauchen will, werden sie es vorzie-
hen, sich totschlagen zu lassen, statt Verrat am Geiste zu üben.«
Pater Jakobus
Bei ihm geht Josef Knecht in die Lehre, etwas über Geschichte zu
lernen, wie Hesse im Baseler Geschichtsschreiber Jacob
Weitere Kostenlose Bücher