Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
Vom Netzwerk:
Zeit, hat er Nietzsche gele-
    sen und bewundert. Anspielungen auf Nietzsche sind seit dem
    »Peter Camenzind« häufig bei Hesse zu finden. Hesse verbindet
    mit Thomas Mann eine ähnliche Sicht auf Nietzsche, die bei bei-
    den Dostojewski mit einschließt. Beide sehen sie in Nietzsche wie
    in Dostojewski Befreier von der Schein-Moralität des Bürgers,
    psychologische Raffinesse und den Willen zum »Verbrechen der
    Erkenntnis« (Thomas Mann).
    Auch Hesses Harmoniebegriff verleugnet Nietzsche nicht, teilt
    seinen Drang zur Unabhängigkeit, seinen Anti-Nationalismus oh-
    nehin – sucht, dies nicht in Frage stellend, jedoch immer nach
    einer über das bloß Gegensätzliche hinausreichenden Einheit und
    Ordnung, denn ↑ Goethe steht ih m letztendlich ebenso nah wie Nietzsche. Nietzsche und Goethe, damit auch romantische und
    klassische Tradition, in Hesses Texten zeigen sie sich versöhnt.

    Nobelpreis
    Etwas überraschend kam er schon, 1946. Er galt dem »Glasperlen-
    spiel« und seinem Willen zum Neuanfang, der geistigen Erneue-
    rung Deutschlands. Hesse sah derlei äußere Ehre eher mit
    skeptischem Mißtrauen. Zu oft war er in der Öffentlichkeit bereits,
    vor allem wegen seiner Kritik am deutschen Nationalismus, diffa-
    miert worden, als daß er den herrschenden Meinungen noch viel
    Bedeutung zumessen wollte. Zur Preisverleihung nach Stockholm
    fährt er natürlich nicht, läßt sich aus Krankheitsgründen entschul-
    digen und begibt sich statt dessen für vier Monate zur Kur nach
    Marin. Auf einer Postkarte, die er von dort schreibt, lesen wir:
    »Haben Sie das mit dem Preis wirklich ernst genommen? Ich
    nicht. Ich hätte Ihnen zur Zeit, als vor Jahrzehnten die Betrachtun-
    gen und der Steppenwolf erschienen und teils ausgelacht teils
    giftig abgelehnt wurden, voraussagen können, daß im Augenblick
    der umgekehrten Konjunktur, im Moment der nächsten deutschen
    Niederlage, es Preise, Feiern und Auflagen für mich regnen werde
    – Dinge, die zu solcher Zeit genauso wenig Wert haben als etwa
    der Geldbetrag des jetzigen Preises, für den ich, wenn ich ihn
    nicht verschenken würde, auch nicht ein Stückchen Brot oder gar
    ein Glas Wein bekäme.«

    Normalien
    Seinen »Bericht aus Normalien« schreibt Hesse 1948. Er bleibt,
    bezeichnenderweise, Fragment. Aber er spricht sich gerade in sei-
    nem ironisch-bewaffneten Fragmentcharakter als Dokument einer
    romantischen Gesinnung aus. Sich nie vereinnahmen lassen, sei-
    ne äußere wie innere Unabhängigkeit als höchstes Gut schlau zu
    verteidigen wissen! Die Distanz des Außenseiters zu seiner Um-
    welt läßt ihn im scheinbar Normalen das Absurde erkennen. Der
    Dichter lebt im Gefühl, die Welt ist ihm fremd, und er muß dieses
    Gefühl liebenlernen. Sein Privileg ist es, allein auf verlorenem
    Posten zu stehen. Soll er es darum mit Würde tun: »... so wie mein
    Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit in dieser Runde ein
    Schwindel war und mich genauso einsam, wach und gegen den
    Geselligkeitszauber mißtrauisch zurückließ, wie ich immer gewe-
    sen war, so war vermutlich auch die Begeisterung, Kameradschaft
    und Menschenfreundlichkeit der anderen nur eine Seifenblase und
    hübsche Lüge gewesen.«
    Was zählt ein freier Dichter in Normalien? Nichts natürlich, es ist
    sogar ziemlich verboten, so offenkundig nirgendwo dazuzugehö-
    ren. Also muß er sich auf polizeiliche Anweisung als Dichter aus-
    weisen, irgendwo das geachtete Mitglied einer Zunft werden.
    Zufällig ist es die Schneiderzunft, bei der er sich per Gesetz um
    Aufnahme bemühen muß, aber das ist auch egal, denn Schneider
    gibt es in der Schneiderzunft ohnehin keine. Es kommt nur darauf
    an, seine Dazugehörigkeit zu bekunden, seine Gesellschaftstaug-
    lichkeit, sprich: Harmlosigkeit. Hesse, das zeigt dieser kleine Al-
    ters-Text, revoltiert nicht mehr gegen die Normalier, sondern
    treibt sein ironischkluges Spiel mit ihnen. Habe Vergnügen an der
    Absurdität der Rituale menschlichen Zusammenlebens! Der Dich-
    ter: weniger Bekenner als artistischer Maskenspieler jetzt. Ein ge-
    lassen-heiterer Falstaff-Ton herrscht, der jedoch nicht über die auf
    dem Wege liegenden Mühen, Kämpfe und Frustrationen hinweg-
    täuschen will. Nun heißt es altersweise: So ernst darf man das
    alles nicht nehmen, es ist schließlich nur die menschliche Komö-
    die der Eitelkeiten: »Dies war ja gerade das Hübsche, das Entzük-
    kende an meiner Zunftgeschichte, daß sich da wieder einmal die
    Gesellschaft, die

Weitere Kostenlose Bücher