Hesse-ABC
vornehmlich über Italien
zu hören: »O Venedig! O Ravenna! Dort wo ich nur Fremdling ge-
wesen bin, könnte ich vielleicht leben – hier vegetiere ich eben so
hin.« (1901)
Om
Oft karikiert und parodiert. Das jedoch ist nicht Hesses Absicht. Er
meint es ernst, wenn er in »Siddhartha« – im Untertitel eine »indi-
sche Dichtung« genannt – vom »Om« als »heiligem Wort« spricht.
Siddhartha begegnet das Om im Traum. Erwacht fühlt er sich als
neuer Mensch: »Leise sprach er das Wort Om vor sich hin, über
welchem er eingeschlafen war, und ihm schien, sein ganzer langer
Schlaf sei nichts als ein langes, versunkenes Om-Sprechen gewe-
sen, ein Om-Denken, ein Untertauchen und völliges Eingehen in
Om, in das Namenlose, Vollendete.« Om, das ist die Befreiung des
»Ich« aus seiner individualistischen Vereinzelung im Einheitsden-
ken der ewigen Harmonie. Darauf fixiert sich Hesse mit zuneh-
mendem Alter immer stärker. Er kleidet seine neuplatonische
Geistes- und Gemütslage in eine altindische Fabel: »Siddhartha«.
Der exotische Effekt gehört dabei zum Programm.
Onestep
Modetanz der zwanziger Jahre, den Hesse in seinen ↑ Züricher
Wintern versucht zu lernen. Diese verzweifelten Anläufe, im leich-
ten Nachtleben Ablenkung von seinen Depressionen zu finden, hat
er im ↑ » Steppenwolf « beschrieben. Wie Harry Haller ein unheilba-rer Außenseiter, so sucht auch Hesse die urbane Lebenskunst zu
erlernen: »Mit den Tänzen ging es nur sehr mäßig vorwärts, mei-
ne sechs Tanzstunden sind nun vorbei. Der Boston oder der Blou-
se (oder wie man ihn schreibt ist mir noch recht problematisch,
ich zweifle da sehr an meiner Fähigkeit, aber den Fox und den
Onestep glaube ich nun soweit bewältigen zu können, als man es
von einem älteren Herren mit Gicht erwarten darf. Für mich liegt
die Bedeutung dieser Tänzerei natürlich vor allem in dem Versuch,
mich irgendwo ganz naiv und kindlich dem Leben und Tun der
Allerweltsmenschen anzuschließen. Für einen alten Outsider und
Sonderling ist das immerhin von Bedeutung.« (Brief, Febr. 1926,
an Alice Leuthold) So sehr steigert sich Hesse in die nächtliche
Tänzerei hinein, daß er an Emmy und Hugo Ball schreibt, er sei
bei Hans Arp gewesen, »und zwar in einer geschäftlichen Angele-
genheit«. Hinter diesen ominösen Worten verbirgt sich Hesses
simples Anliegen, Arp solle eine Karte für den Maskenball besor-
gen.
Orgel
Nicht irgendein Instrument, sondern die Stimme Gottes. Darum
gilt Hesse das Orgelspiel als heilige Kunst: ars sacra. Hesses gan-
zes großes Glaubensbedürfnis hat sich aus den kirchlichen und
theologischen Gegenden zurückgezogen: in die ↑ Musik. H ier klingt die Verehrung noch rein, die Demut des Menschen gegenüber
Geist und Natur hat nichts Starres, Gewaltsames, sondern ist sei-
ne lebendig-biegsame Melodie. So wird das Gedicht »Orgelspiel«
zu Hesses Glaubensbekenntnis, zu einer Feier der Musik, die sich
»aufbaut zu geistigen Räumen«. In der Musik klingt der Kosmos
wider, repräsentiert die Ordnung, deren Teil der Mensch ist. Und
die Orgel holt ihn hervor, diesen so reichen und reinen Ton, in
dem sie etwas vom beseelten Kosmos offenbart: das Geheimnis
der Harmonie, des Vielen, das doch Eines ist. Wenn Hesse in sei-
nen Texten jemanden auf der Orgel spielen läßt (Demian, Josef
Knecht...), so ist das ein Mensch, der bereits teilhat an dieser gött-
lichen Harmonie, die allein durch den musikalisch gestimmten
Menschen zum Klingen gebracht werden kann.
P
Pablo
Leichtlebiger Saxophonspieler im »Steppenwolf«, bei dem Harry
Hallers Tiefsinn nicht verfängt. Er lebt die reine Musikalität, der
Harry mißtraut, die ihn aber noch mehr fasziniert. Hesse hat in der
↑ » Morgemandfahrt « Pablo auftreten lassen und uns damit einen Schlüssel für sein Verständnis gegeben: Pablo ist der verkleidete
Mozart.
Pädagogische Provinz
Ein Motiv aus ↑ Goethes »Wilhelm Meister«, das Hesse zu
↑ » Kastalien « im ↑ » Glasperlenspiel« inspirier te. Die pädagogische Absicht ist hier keine ironische Maske, die sich Hesse aufsetzt, wie
der »Steppenwolf«-Leser vermuten könnte, sondern bitterernst
gemeint. Das hat seinen Anlaß in der deutschen Situation dieser
Zeit: Der Nationalsozialismus als großangelegter Zerstörungsver-
such von Tradition und Geist provoziert eine solche Utopie vom
»besseren Deutschland«, das eines von einer noch heranzubilden-
den (provokant gesagt:
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