Hesse-ABC
Burck-
hardt und seiner Feier der Renaissance ein provozierendes Ge-
genüber fand. Hesse läßt Knecht mit Jakobus-Burckhardt
bemerken, daß auch die übergeschichtlich scheinende Insel Kaka-
nien nur ein Partikel im großen Strom des geschichtlichen Wer-
dens und Vergehens ist. Auch darum verläßt Knecht Kakanien,
geht in die Welt hinaus und bringt sich ihr als Opfer – seine Missi-
on als Lehrer erfüllend.
Pathos
Ein hoher Ton, wie ihn der Schmerz hervortreibt. Die Größe der
eigenen Absichten kollidiert mit der Kleinheit der Welt. Pathos
nimmt der Welt das ernsthaft übel und baut an Gegenwelten, die
ganz aus Ideen bestehen und im Dauerkampf mit den herrschen-
den Niedrigkeiten (Interessen) liegen. Hesse scheut die hohen und
besorgt-ernsten Töne nicht – aber er kontrastiert sie zunehmend
mit ↑ lronie , ohne die kein Pathos auszuhalten wäre: »Pathos ist eine schöne Sache, und jungen Menschen steht er oft wundervoll.
Für ältere Leute eignet sich besser der Humor, das Lächeln, das
Nichternstnehmen, das Verwandeln der Welt in ein Bild, das Be-
trachten der Dinge, als seien sie flüchtige Abendwolkenspiele.«
Peter Camenzind
Eine persönliche Einladung des Verlegers Samuel Fischer, in sei-
nem Verlag zu publizieren, geht an den fünfundzwanzigjährigen
Autor. Fischer war durch den Schriftsteller Paul Ilg und seinen
Lektor Moritz Heimann auf Hesses »Hermann Lauscher« aufmerk-
sam gemacht worden. Nun also schreibt Hesse für Fischer einen
Entwicklungsroman nach dem Muster von Gottfried Kellers »Grü-
nem Heinrich« (weshalb Kritiker das Buch auch »Grüner Peter«
nannten). Er erscheint als Vorabdruck 1903 in der »Neuen Rund-
schau« und in Buchform 1904. Bereits nach vierzehn Tagen ist die
erste Auflage vergriffen. Über Nacht wird Hesse zum Erfolgsautor.
Worauf beruht die Attraktivität dieses merkwürdigen Peter Simpel
aus dem Dorf Nimikon, der in die Stadt geht, um Künstler zu wer-
den? In seinem suggestiven Rousseauismus, der den Nerv der Zeit
trifft. Denn die Industrialisierung stellt plötzlich die Frage nach der Natürlichkeit des Lebens, dem Sinn menschlicher Existenz ganz
neu. Im »Camenzind« erkannten die Leser eine Verteidigung des
natürlichen Lebens gegen die entfremdete moderne Großstadtexi-
stenz. Daß Hesse nicht als Prophet des dörflichen Lebens daher-
kommt, sondern mit Ironie und wilder Fabulierlust zu unterhalten
versteht, macht das Buch dann doch zu einem Stück großen 20.-
Jahrhundert-Feuilleton. Es ist ein Plädoyer für die nicht »normier-
te Existenz«, wie Hesse in einem Brief schreibt, die sich allen Uni-
formierungstendenzen entzieht. Hesse wird es Jahrzehnte später
im »Glasperlenspiel« auf den Begriff einer »Kritik des
↑ Feuilletonistischen Zeitalters « zuspitzen, das ein Zeitalter der meinungsmachenden Journaille ist und die Zerstörung aller gro-
ßen Sinnzusammenhänge bedeutet. Dieses Thema also, das erst-
mals im »Camenzind« anklingt, läßt Hesse lebenslang nicht los:
Die kleinen »schäbigen Berufsliteraten«, die ihr Geld mit Zeitungs-
texten verdienen, sind vor allem eines: auf unterhaltsame Weise
zum schnellen Vergessen verdammt. Hesse nimmt sich da nicht
aus, denn viele seiner kurzen Prosatexte schrieb er für Zeitungen.
Man könnte es zur Provokation sogar so sagen: Der Feuilletonist
in Hesse ist stärker als der Romancier. Vom »Camenzind«-Honorar
kann er heiraten und sich in Gaienhofen ein kleines Haus mieten.
»Es lebe Peter Camenzind! Ohne den hätte ich nicht heiraten kön-
nen und nicht hierherziehen können. Er hat mir 2500 Mark einge-
bracht, davon kann ich zwei Jahre leben, wenigstens, wenn ich
hierbleibe«, jubelt Hesse 1904 in einem Brief an Stefan Zweig.
Aber die Schattenseite des Erfolgs bekommt er nun auch zu spü-
ren: »Die Herrlichkeit ist nicht so überwältigend. Und die ›Be-
rühmtheit‹ zeigt sich darin, daß Vereine mich in unfrankierten
Briefen um Geschenkexemplare meiner Bücher bitten.« Und noch
dramatischer: »Die übertriebenen Erfolge des ›Peter‹ haben mich –
vom Geld natürlich abgesehen – nicht eben gefreut, ich werde ja
förmlich Mode, und das wollte ich nie.«
Was »Peter Camenzind« aber auch ist: Lehrstück über jenes heil-
same Scheitern, das allem, was wir tun, erst Bedeutung und Ge-
wicht gibt. Denn Camenzind wird zwar kein Künstler, aber
vielleicht gerade darum ein besserer Mensch. Was allerdings eine
recht schwache
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