Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
Schüsse hat sie kaum Blut verloren“, erklärte Heiner. „Du musst dir das eher vorstellen wie bei einer Verbrennung. Durch die Geschwindigkeit des Geschosses wird das Gewebe großer Hitze ausgesetzt. Nur der Streifschuss am Knöchel hat ein bisschen mehr geblutet, aber nicht so viel, dass er diese schlechten Werte rechtfertigen würde. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Marie-Sophie. Ich habe das Gefühl, dass etwas ganz Schreckliches passiert ist. Sie klangen so ernst, die Kommissare, fast so, als ob sie nicht mehr leben würde.“
Tränen schossen in Ankes Augen. Es waren Tränen der Wut und der Eifersucht. Aber sie nutzte sie zu ihren Zwecken, als Heiner sagte: „Na, na, wer wird denn da so weinen!“ und nahm sie in die Arme.
Sie schluchzte und schmiegte sich eng an ihn. Das war schön und grausam zugleich. Zeit spielte keine Rolle mehr. Sie stand einfach still. Anke roch seinen Duft, fühlte seine Wärme und musste sich verstellen.
Musste die Besorgte spielen. Dabei begehrte sie ihn.
Ihr Körper reagierte auf seine Nähe.
„Nun beruhig dich mal wieder!“, sagte Heiner und versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien.
„Ich dachte, dass sich eure Freundschaft in letzter Zeit etwas abgekühlt hätte.“
Erneut schluchzte sie auf und presste sich fester an ihn. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter. Er spürte ihren Atem, der stoßweise hervorgepresst heiß seinen Hals 201
streifte. Es hatte keinen Sinn. Er musste warten, bis sie sich beruhigt hatte.
202
Nähe
Den ganzen Samstag hatte Sven in Thomas’ Bett zugebracht. Er konnte ihn noch spüren, seinen Duft noch riechen – in den Laken und auf sich selbst. Für einen kurzen Moment war er enttäuscht gewesen, als Thomas so schlagartig aufbrach, aber das gab sich schnell.
Die Art, wie Thomas ihn berührt und angesehen hatte, seine Worte, all das hatte sich in ihn eingebrannt und ihn froh gemacht. Sie teilten etwas ganz Kostbares. Er wusste, dass das durch nichts und niemanden jemals zerstört werden konnte. Sein Ziel, ihn ganz für sich zu besitzen, war in greifbare Nähe gerückt.
203
Stillleben
Mit Wein, Ciabatta und Käse bewaffnet, machte sich Moni gegen sieben Uhr auf den Weg zu Wolf. Sie knuddelte Aisha noch und zog dann die Tür zu. Den Schlüssel zu seinem Haus hatte sie vorsichtshalber in der Tasche. Es konnte sein, dass er noch schlief. Sie würde sich heimlich in die Küche schleichen und alles vorbereiten. Erst dann würde sie nachschauen, ob er sich wecken ließ.
Noch bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckte, wedelte Lady Gaga schon hinter der Tür. Mit einem „Pst!“ schob sie sich durch den Spalt, zog die Schuhe aus und schlich auf Zehenspitzen in Wolfs Wohnzimmer.
Was für ein schönes Stillleben, dachte sie, als sie die Kater in trauter Eintracht auf der Chaiselongue sah.
Von Hetzer fehlte jede Spur. Er war wahrscheinlich direkt ins Bett gegangen.
Da sie nicht wusste, wie lange Wolf schon schlief, ließ sie Gaga in den Garten und wartete, bis sie zurückkam. Anschließend bereitete sie in der Küche eine Käseplatte vor. Ein paar Weintrauben legte sie zwischen die duftenden Stücke, die sie schon vor zwei Stunden aus dem Kühlschrank genommen hatte. Das Ciabatta hatte sie schon zu Hause geschnitten und in einen Korb getan. Aus Sicherheitsgründen wählte sie zwei Wassergläser für den San Lorenzo und stellte alles auf Hetzers Olivenholztablett. Sie zuckte zusammen, als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie hatte niemanden kommen hören.
Verstehen
Dr. Wiebking war froh gewesen, als Anke die Praxis verlassen hatte. Er atmete tief durch. Noch immer sah er ihre verheulten Augen vor sich. Und noch immer verstand er nicht so ganz, was sich jetzt gerade da vor seinen Augen abgespielt hatte.
Es war irgendwie jenseits der Normalität gewesen, fand er. Sie hatte total überzogen reagiert. Er erinnerte sich noch genau daran, dass Anke und Marie-Sophie zuletzt ein eher gespaltenes Verhältnis zueinander gehabt hatten. Sicher, es hatte keinen großen Stress gegeben, wenigstens nicht nach außen hin, aber Anke hatte sich oft über ihre Kollegin beschwert und kein gutes Haar an ihr gelassen.
Marie-Sophie hatte um ein persönliches Gespräch gebeten, aber dazu war es ja nun nicht mehr gekommen. Sie war verschwunden, hatten die Beamten gesagt. Und niemand wusste, wohin. Auch er nicht, aber er wusste, dass er nun ein Problem haben würde. Auf Dauer war der Praxisbetrieb ohne eine zweite Kraft vorne an der
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