Heuchler
Schritte machte er nun bewusst langsam, um nicht wieder einen Absturz zu provozieren, und einige Klicks später war das Haus reserviert. Danach kopierte er noch ein paar der angezeigten Fotos in eine E-Mail und schickte diese Petra, mit der Bitte, den Kindern noch nichts zu verraten.
Seine kleine Schreibtischuhr gab einen kurzen Ton von sich und zeigte damit an, dass es erst halb vier war. Er beschloss in Erfahrung zu bringen, ob die Nachtbildkamera inzwischen irgendwelche neuen Spuren offenbart hatte. Auch wenn er vorerst aus dem Fall raus war, konnte ihn niemand davon abhalten, etwas über die Geschehnisse in diesem Keller in Erfahrung zu bringen. Peter und er hatten ein Recht auf Information; schließlich war das, weiß Gott, kein alltäglicher Einsatz gewesen.
Dann fuhr er den Computer herunter, warf seine dünne Jacke über die Schulter und schloss das Büro ab. Die Gerüchte über die letzte Nacht hatten offenbar ihren Höhepunkt erreicht, denn selbst altbekannte Kollegen vermieden es, Mike direkt zu begegnen oder ihn gar darauf anzusprechen.
Der zentrale Serverraum und damit auch Henriks Wirkungsstätte befand sich im Kellergeschoss des burgähnlichen Präsidiums. Da Mike eine Abneigung gegen Aufzüge hatte, nahm er das Treppenhaus und betrat den riesigen, klimatisierten Raum durch eine Tür, die eigentlich als Notausgang gedacht war. Henrik saß in einer vom Rest abgetrennten Kammer und starrte konzentriert auf seine Bildschirme. Erst als Mike an die gläserne Tür klopfte, schien der Computerexperte seine Umwelt wieder wahrzunehmen und schloss reflexartig die Internetseite, die er gerade studiert hatte.
»Hallo, Mike!«, begrüßte er ihn mit etwas Mitgefühl in der Stimme und stellte dann als Erstes die Frage: »Wie geht es dir und deinem Partner? Das war ja eine elende Scheiße heute Nacht! Ich habe hier ja auch schon viel erlebt, aber das …« Henrik schien keine Worte zu finden.
Mike betrat den Raum vollständig und sah abwesend auf einen der Monitore. »Mir geht es einigermaßen, aber was mit Peter wird, bleibt abzuwarten.« Er machte eine kurze Pause. »Aber du hast recht! Dieses Monster ist anders als alles, mit dem wir es sonst zu tun haben. Er ist …«, auch Mike musste nach Worten suchen, »er ist einerseits völlig entgleist und andererseits überlegt und intelligent. Eine Mischung, die es uns nicht leichter macht.«
Henrik ging nicht weiter darauf ein, sondern kam gleich zur Sache: »Du bist sicher wegen der Kamera hier! Leider weiß ich immer noch nicht viel mehr, als ich deinem Chef schon gesagt habe.«
»Warte!«, unterbrach ihn Mike mit einer abwehrenden Geste. »Ich bin offiziell raus aus dem Fall, und ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst. Alles, was du mir erzählst, bleibt unter uns, aber du musst es nicht tun. O. k.?«
Henrik winkte ab: »Nach dem, was ihr erlebt habt, scheiß ich auf die da oben. Also Folgendes: Die Kamera und der Halogenscheinwerfer, von dem ihr geblendet wurdet, wurden eindeutig per Funkverbindung über das Internet gesteuert. Allerdings war der Täter schlau genug, sich in einen Zugang in der Nähe einzuhacken, und hat damit keine eigenen Spuren hinterlassen. Dass auch die Spurensicherung keinerlei Fingerabdrücke oder Ähnliches gefunden hat, kannst du dir denken. Unsere einzige Chance sind jetzt noch die Skalps der Kinder, aber wie man mir sagte, wird die DNA-Auswertung noch eine kleine Ewigkeit dauern.«
Die Art wie Henrik »Skalps« sagte, ließ Mike mehr als einen Schauer über den Rücken laufen. Zu frisch war das Bild mit den Trophäen des Mörders. Dann zwang er sich, analytisch zu denken, und fragte: »Weiß man wenigstens, woher die Geräte stammen?«
»Das ist allerdings eine andere Geschichte«, bestätigte Henrik Mikes Denkrichtung. »Sowohl der Scheinwerfer als auch die Kamera stammen aus Polizeibeständen!«
»Was?«, fragte Mike ungläubig.
Henrik nickte mit zusammengekniffenen Lippen: »So ist es! Da allerdings die Serienschilder fehlen, wird es auch hier eine Weile dauern, bis man weiß, wer so etwas vermisst. Komischerweise muss jeder Tante-Emma-Laden eine Inventur machen, nur die Polizei nicht.«
»Na gut«, stellte Mike resigniert fest und wollte sich, da ihm keine weiteren Fragen mehr einfielen, schon von Henrik verabschieden, blieb dann aber doch noch in der Drehung stehen. »Eins noch. Hattest du heute auch Probleme mit dem Internet?«
»Nein, warum?«
»Mein Arbeitsplatzrechner hat vorhin einige Zicken gemacht. Ging
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