Heuchler
sah er sich den Fisch genauer an: »Aber dein Fang ist wirklich toll! Was hältst du davon, wenn wir den heute Abend auf den Grill legen?« Felix strahlte.
Zusammen gingen sie zurück zum Haus, wo Petra schon den Terrassentisch gedeckt hatte, und nahmen ein kleines Mittagessen ein.
Den restlichen Tag verbrachten sie damit, immer wieder in den kleinen Innenpool zu springen und sich danach im Garten zu sonnen. Pünktlich um 17 Uhr ertönte das rasenmäherähnliche Geräusch von Sjörens Mofa und erstarb wenig später vor dem Haus.
Als die beiden um die Hausecke kamen, sah Petra sofort, dass Katja über beide Ohren verliebt war. Vor etwa einem halben Jahr hatte ihre Tochter das gleiche Strahlen im Gesicht gehabt, doch damals war es nur von kurzer Dauer gewesen. Wie sich herausstellte, ging es ihrem Exfreund Thomas mehr um die Anzahl seiner Trophäen als um Liebe, und es hatte Wochen gedauert, bis Katja wieder lachen konnte. Fast im selben Moment dieser Gedanken wich die Freude darüber, ihre Tochter so glücklich zu sehen, der Erkenntnis, dass dies nur ein Urlaubsflirt war. Aber auch Petra wollte nicht schon am ersten Urlaubstag an die Heimreise denken und so wischte sie diesen Gedanken fort.
»Wollt ihr etwas trinken?«, fragte sie, an Sjören gewandt.
»Ja gerne!«, antwortete dieser höflich und setzte sich mit Katja an den Tisch, wo bereits ein Krug mit Eistee stand. Mike, der gerade aus dem Pool kam, begrüßte die beiden und setzte sich dazu. Eine Frage brannte ihm auf der Zunge, aber er wusste, dass seine Familie allergisch auf seine etwas überzogene Vorsicht reagierte, darum begann er mit der Floskel: »Wie war euer Tag?«
Mike ließ Katja reden, hörte ihr aber nicht wirklich zu, und als sie endlich fertig war, stellte er seine Frage: »Sag mal, Sjören …« Der Junge bemerkte den speziellen Polizeitonfall und sah Mike aufmerksam an. »Felix ist heute am See einem sehr alten Mann begegnet und offenbar konnte dieser nicht sprechen. Kennst du den?«
Sjören, der schon Wunder was erwartete hatte, entspannte sich sichtlich: »Aber klar! Im Dorf wird er nur der alte Björn genannt. Er war früher Fischer, aber vor einigen Jahren ist sein Sohn hier in den Wäldern verschwunden und seitdem trinkt er mehr, als er fischt. Aber keine Sorge. Björn ist absolut harmlos und macht nur gerne einmal Quatsch mit Kindern.«
»Wie alt war sein Sohn?«, hakte Mike nach.
Sjören schüttelte den Kopf: »Keine Ahnung! Aber ich glaube, er ist zu dem gleichen Sprachunterricht gegangen wie ich. Jedenfalls habe ich, als er verschwand, meine Lehrerin so etwas reden hören.«
»Hat man nicht nach ihm gesucht?«, fragte Mike, dessen Berufsinstinkt wieder zutage trat.
»Doch hat man, aber man fand nur seine Kleider. Von ihm selbst fehlt bis heute jede Spur.«
»Das ist ja gruselig!«, stellte Katja fest und warf einen bangen Blick in Richtung des dunklen Waldes.
»Vielleicht ist er ja nur abgehauen«, versuchte Sjören sie zu beruhigen und Mike sprang auf den Zug auf: »Ja, das kommt öfter vor, als man denkt!«
Als Katja Sjören vor dem Haus verabschiedet hatte, zündete Mike die Kohlen an und überließ es Felix seinen Fang zu grillen. Nach dem Essen saßen alle vier noch lange draußen und ließen ihren ersten richtigen Urlaubstag ausklingen.
– 9 –
Die inzwischen schmutzigen Finger trommelten immer energischer auf die Tastatur des zerbrechlich wirkenden Laptops und fanden bald ihren eigenen Rhythmus: Glück muss man strafen, Familie muss man strafen, Kinder muss man strafen, Glück muss man strafen, Familie muss man strafen, Kinder muss man strafen … Seite um Seite füllte sich mit den Worten, die direkt aus seiner Seele kamen. Es war, als würde sich der Dämon in ihm endlich wieder heraustrauen. Als wühlten sich seine langen spitzen Klauen immer weiter dem Licht entgegen. Mit jedem Wort ein Stückchen weiter und weiter und weiter. Zu lange musste er ihn wegsperren, ihn bändigen. Aber jetzt und hier, in seinem alten Zuhause konnte er es zulassen.
Das feuchte Gestein um ihn herum gefiel dem Dämon auch viel besser als der Beton seiner Einzimmerwohnung. Hier war nichts steril, hier hatten sie zusammen Geschichte geschrieben. Ein verzerrtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit und die linke Hand unterbrach den Rhythmus der Worte. Sie fuhr nach unten und quetschte seinen Schritt solange, bis endlich der wohlverdiente Schmerz einsetzte und ihm auf schönste Weise die Luft nahm. Dies war der Zustand, den ER
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