Heuchler
Tochter schon etwas genervt.
»Was?« Katja schien aus einer anderen Welt zu kommen. »Ob du keine Handynummer von Sjören hast, habe ich gefragt.«
»Nein! Da wir am Haus sowieso keinen Empfang haben, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen«, antwortete Katja knapp und wendete den Blick wieder in Richtung Strand.
Mike machte eine Grimasse, die in etwa Scheiß-Pubertät! heißen sollte, und entlockte seiner Frau damit ein Lächeln. Alle, außer Katja, genossen die besondere Atmosphäre dieses Ortes und Mike schaffte es seit Langem, sich richtig zu entspannen. Nach einem kleinen Imbiss und einer weiteren Runde Cola hob er seine Hand, um der Kellnerin anzuzeigen, dass er zahlen wollte. Im gleichen Moment hellten sich Katjas Gesichtszüge auf: »Da ist ja Hanna!«
»Wer ist da?«, fragte Mike mit Unverständnis.
»Hanna«, wiederholte Katja. »Ich habe sie gestern kennen gelernt. Sie gehört zu der Clique von Sjören. Darf ich kurz hingehen?«
»Geh ruhig, wir wollen jetzt eh noch etwas am Strand spazieren gehen«, schaltete sich Petra ein, worauf Katja fast aufsprang. »Aber bleib hier in der Nähe, bis wir wieder zurück sind!«, konnte Petra ihrer Tochter gerade noch hinterherrufen, dann war sie auch schon außer Hörweite.
Katja wusste, dass Hanna kaum Deutsch und nur wenige Worte Englisch sprechen konnte, aber irgendwie würde sie schon herausbekommen, ob Sjören heute noch hierher kommen würde.
»Hallo!«, begrüßte sie die junge Finnin, noch bevor sie ganz vor ihr stand. Hanna saß auf einer Badematte und schaute nicht wie die anderen Strandgäste in Richtung See, sondern hinauf zum Parkplatz. Erst als Katja direkt vor ihr stand und ihr damit die Sonne nahm, blickte sie von ihrem Handy auf. »Hallo!«, erwiderte sie, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie Katja noch nie gesehen. Katja ließ sich nicht verunsichern und fragte sie auf Englisch, ob sie sich nicht an sie erinnerte und dass sie doch gestern mit Sjören hier gewesen war.
Hannas Blick verdunkelte sich. Dann suchte sie kurz nach den richtigen Worten, was ihr Englisch aber auch nicht besser machte. Irgendwie machte das Mädchen einen dümmlichen Eindruck auf Katja und so, wie sie die wild durcheinander geworfenen Worte verstand, wusste Hanna nicht, ob Sjören noch kommen würde.
Katja gab auf, murmelte ein kurzes »Bye« und sah sich unschlüssig um. Ihre Eltern verschwanden gerade hinter einer weit entfernten Baumgruppe, die dicht am Strand stand. Um diese noch einzuholen, hätte sie rennen müssen, worauf sie bei der Wärme keine Lust hatte. Also blieb ihr nur, sich an die Bar oder an den Strand zu setzten. Da sie noch etwas Geld eingesteckt hatte, wählte sie die schattige Bar.
»Du siehst aus, als würdest du auf jemanden warten!«, begrüßte sie die Bedienung ein zweites Mal und lächelte sie dabei freundlich an.
»Stimmt!«, erwiderte Katja und ein neuer Hoffnungsschimmer keimte in ihr auf. »Kennen Sie vielleicht Sjören? Er ist oft mit seinen Freunden zum Baden hier.«
»Ach darum warst du gerade bei Hanna.« Das war zwar nicht die Antwort, welche sich Katja erhofft hatte, zeigte aber, dass hier offenbar jeder jeden kannte.
»Also kennen Sie ihn?«, fragte Katja erneut.
»Aber klar! Ich denke, er müsste in …«, sie sah auf ihr Swatch-Imitat, »… ungefähr zehn Minuten hier sein! Bei dem Wetter kommt er immer direkt nach der Schule her.«
Die Aussage erzeugte ein ungewolltes Lächeln um Katjas Mund, was auch der Bedienung nicht entging und ohne jede Diskretion fragte sie: »Du magst ihn wohl?«
Eigentlich erzählte Katja nicht gleich jedem von ihrem Leben, aber sie mochte die junge Frau in ihren bunten Klamotten, und die Tatsache, dass sie ebenfalls aus Deutschland kam, ließ sie etwas schneller Vertrauen fassen, also antwortete sie: »Ja! Wir haben uns gestern kennen gelernt und er hat mich mit hierher zum Baden eingeladen.« Dann runzelte sie die Stirn, da ihr ein Gedanke gekommen war, und fragte misstrauisch: »Wieso, müsste ich irgendetwas wissen?«
Doch die Bedienung machte zu ihrer Erleichterung eine abwehrende Geste: »Nein, nein! Sjören ist schwer in Ordnung.« Dann wurde ihre Stimme leiser und sie beugte sich etwas zu Katja herunter. »Und er ist hier auch nicht der große Touristen-Mädchen-Herzensbrecher. Das wolltest du doch wissen oder?« Katjas Lächeln erstrahlte erneut, wurde aber sofort wieder auf die Probe gestellt, als die junge Frau weiterredete: »Allerdings solltest du dich etwas vor Hanna in Acht nehmen.
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