Heurigenpassion
Werner Jacusek, nach Österreich geholt. Die alte Oma durfte mitkommen. Die ›neue Familie‹ bezog eine kleine, billige Wohnung außerhalb von Wilhelmsburg. Als Monteur ist Jacusek häufig auf Auslandseinsatz, so auch jetzt in Polen .«
Er unterbrach sich, um einen Schluck Wasser zu nehmen. »Den müssen wir auch noch verständigen. Elena war also mehr oder weniger auf sich selbst gestellt, da die Großmutter außer im Haushalt keinerlei Hilfe darstellt, im Gegenteil. Mit 19 Jahren hat sie einen jungen Mann kennen gelernt, der der Oma nur unter dem Namen »Blaggi« bekannt ist. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Spitznamen. Der junge Mann ist angeblich ein wichtiger Gastronom in Wien, Juniorchef in einem großen Betrieb. Sein Alter ist nicht bekannt. Elena wurde schwanger und entband am 3. November letzten Jahres einen Buben, der Anton getauft wurde. Nach dem Großvater ›Blaggis‹, den er nach Angaben Elenas sehr geliebt haben muss. Da sich ›Blaggi‹ und Elena schon zu einem Zeitpunkt getrennt haben, als ihr Zustand noch nicht erkennbar gewesen sein dürfte, wusste ›Blaggi‹ nicht, dass er Vater geworden war oder wusste es zumindest bis vor kurzem noch nicht .«
Aus Stolz oder anderen, nicht bekannten Motiven hatte Elena den werdenden Vater zunächst nicht informiert. Nach der Geburt war die finanzielle Situation der kleinen Familie in Wilhelmsburg aber so prekär geworden, dass sie ihren Stolz aufgeben und den Vater des Kindes informieren hatte müssen. Vor allem auch, um ihn zur Zahlung von Alimenten zu veranlassen.
»Ein Besuch Ende November und zwei vor Weihnachten endeten erfolglos«, setzte Wallner fort, »angeblich konnte Elena ›Blaggi‹ nicht antreffen. Am Silvestertag beschloss sie, nochmals nach Wien zu fahren und ihr Glück zu probieren. Der Busfahrer Walter Kleemann hat ausgesagt, dass Elena den Bus am 31.12. gegen 15.45 Uhr am Hauptplatz in Wilhelmsburg bestiegen und gegen 16.15 Uhr am Bahnhofsplatz in St.Pölten wieder verlassen hat. Am nächsten Morgen wurde sie in Grinzing tot aufgefunden. Was hat sich in der Zeit dazwischen abgespielt ?«
Wallner hatte seinen Monolog beendet, die längste zusammenhängende Rede, die Franca Aigner je von ihrem Freund gehört hatte. Sie war fast versucht, zu applaudieren. »Sehr gut. Wenn du so weiter machst, wirst du es noch bis zur Polizeiakademie bringen, Liebling .«
Aber Wallner war im Moment nicht zum Scherzen zu Mute. Dieser Fall setzte ihm mehr zu als alle bisherigen, bei denen sie ihn bisher beobachtet hatte. Wahrscheinlich war es das Kind, das den Unterschied ausmachte.
»Von der Studentin Melinda Mayer haben wir erfahren, dass sie ihre Anzeige ›Babysitten zu Silvester‹ an drei Containern angebracht hat. Einer davon steht noch bei der Endstelle der Straßenbahn, der zweite in der Nähe der Kirche. Der Container, der beim Trummelhof stand, ist dagegen verschwunden. Den hat der Täter am Rückweg mitgenommen und hinten im Hof des ›Kutscherhauses‹ abgestellt .«
Wallner beendete das enervierende Auf- und Abgehen und nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. »Also dann schauen wir einmal, was uns die Berichte da«, er deutete auf den kleinen Stapel vor sich, »alles zu dem Fall mitteilen können .« Als erstes nahm er sich den Umschlag der Spurensicherung vor und vertiefte sich in die Expertise.
* * *
»Gestatten Sie mir einen derben, aber einzig dieser Situation gerecht werdenden Ausdruck zu verwenden, Annemarie ?« Palinski suchte Zeit zu gewinnen, um Nachzudenken. Ein Problem dieser Komplexität war ihm in der Praxis noch nie untergekommen.
»Sie meinen, es ist eine Scheißsituation«, nahm Dr. Sumser seine Klassifikation vorweg. »Damit haben Sie völlig recht , Mario. Können Sie mir helfen, aus dieser Situation wieder einigermaßen ohne Schaden heraus zu kommen ?«
»Wenn möglich, dann gerne. Zunächst müssen wir aber überlegen, wie ich Ihnen helfen kann .« Er kratzte sich an der Stirne und zuckte fragend mit den Achseln. »Ich kann das im Moment noch nicht sehen .«
Die beiden schwiegen einige Minuten vor sich hin. Dann meldete sich Palinski wieder zu Wort. »Wenn ich richtig verstanden habe, würde es Ihnen sehr helfen, wenn Sie nichts von dem Erpresserbrief wüssten. Offiziell zumindest.«
Das heftige Nicken der Anwältin bestätigte seine Annahme. »Genau das ist der Punkt. Aber ich weiß nun einmal von dem Brief und vor allem von seinem Inhalt. Dieses Paket kann mir niemand mehr abnehmen
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