Heurigenpassion
.«
»Ja und nein«, überlegte Palinski. »Wissen Sie, ob das für die Exekution der Postsperre zuständige Postamt detaillierte Aufzeichnungen über die an Sie weitergeleiteten Poststücke gemacht hat ?« , wollte er wissen.
»Keine Ahnung«, meinte die Anwältin, »ich kann mir das aber nicht vorstellen. Die Post hätte sehr viel damit zu tun, gerade in letzter Zeit, Aber das kann ich in Erfahrung bringen .«
»Gut«, Palinski hatte endlich eine Idee. Noch unausgegoren, wahrscheinlich unverantwortlich, auf alle Fälle aber spannend. »Ich habe ein Postfach beim selben Amt. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass sich nicht ein an jemanden anderen adressiertes Poststück in mein Fach verirrt. Der Fachausdruck dafür lautet Fehlkartierung .«
»Ich kenne das, das passiert uns auch gelegentlich«, bestätigte die Anwältin, die bereits ahnte, worauf Palinski hinauswollte. »Aber das geht doch nicht. Oder? Immerhin ist der Brief ja schon geöffnet worden .«
»Na und ?« , widersprach er, »der Umschlag war in meinem Fach und ich habe ihn irrtümlich geöffnet. Erst nachher bemerkt, dass man nicht an mein Erspartes heran will. Da kann mir niemand einen Vorwurf machen .«
»Und das würden Sie auf sich nehmen ?«
»Ja, warum nicht?«
»Anders herum gefragt. Warum sollten Sie das für mich tun ?« , die Anwältin ließ nicht locker.
»Ich bitte Sie, ganz ohne Hintergedanken. Das ist doch keine große Sache. Ich rufe den Mann morgen an, er holt sich das Schreiben bei mir ab und die Sache ist erledigt .«
Palinski sollte diesen Satz bis zu seinem Lebensende in Erinnerung behalten. Als Beispiel eklatanter Fehleinschätzung einer zukünftigen Situation und ihrer Folgen.
»Und was würden Sie für diese ungewöhnliche Dienstleistung verlangen ?« Die Anwältin wusste, dass es in dieser Welt keine Geschenke gab.
»Gar nichts, oder doch. Wenn alles vorüber ist, laden Sie mich auf eine Pizza und ein Glas Rotwein ein .« Palinski grinste sie spitzbübisch an. »Oder ist das zu viel ?«
Annemarie lachte befreit auf. »Und das bleibt völlig unter uns ?«
»Großes Indianer-Ehrenwort«, versprach er, hob die rechte Hand wie zum Schwur und legte die Linke dort hin, wo sein Herz nicht war.
»Aber ein wirklich gutes Gefühl habe ich nicht dabei«, gestand die Anwältin ein.
»Das ist auch nicht die Frage«, konterte Palinski. »Die lautet vielmehr: Fühlen Sie sich jetzt besser als vor 10 Minuten ?«
»Das schon«, Annemarie lachte, »aber das ist auch nicht schwierig .«
* * *
Was, es ist schon kurz vor 6 Uhr abends? Da habe ich ja mehr als zwei Stunden mit dieser Anwältin geschmaust. Eine sowohl attraktive als auch intelligente Person. Also wenn ich ungebunden wäre, dann wäre die gute Annemarie schon eine Überlegung wert.
Ich weiß nicht recht, soll ich jetzt in die Wohnung hinauf. Wilma wird ziemlich verärgert sein, dass ich heute wieder kaum Zeit für sie und die Kinder gehabt habe. Zumindest anrufen hätte ich schon einmal können. Andererseits, wenn ich jetzt hinauf komme, nur um ihr zu sagen, dass ich gleich wieder gehen muss, wirkt das sicher provozierend. Mich würde das aufregen.
Besser ich rufe vorerst an und lote die Stimmung aus. Dann kann ich mir immer noch überlegen, was ich mache.
Schon acht Klingelzeichen und keiner hebt ab. Was ist da los? Versuchen wir es einmal auf dem Handy. Was, der Teilnehmer ist im Moment nicht erreichbar. Please try it a little bit later again. Also gut, tryen wirs halt a little bit later noch einmal.
* * *
Als Palinski kurz nach 19 Uhr im Kommissariat auf der Hohen Warte eintraf, hatte er eine spannende Fahrt mit der Straßenbahn hinter sich. Der starke Schneefall hatte fast den ganzen Tag über angehalten. Die ab Mittag mit einer Strömung aus dem Südwesten Europas eingetroffenen wärmeren Temperaturen hatten auf den Straßen zu Schmelzwasserbildung geführt. Gegen Abend war es wieder kälter geworden und das Wasser hatte sich zu Eis verwandelt. Der wieder einsetzende Schneefall hatte die Straßen Wiens in einen einzigen, gigantischen Eislaufplatz verwandelt, auf dem sich die dünne Schneeschicht zusätzlich noch wie Schmierseife auswirkte. Ein gewaltiges Verkehrschaos war die logische Folge. Selbst die mehrere Tonnen schwere Tramway, die mit Palinski noch um rund 100 Kilogramm mehr wog, hatte ernsthafte Schwierigkeiten, die Steigung ab der Kreuzung Ruthgasse/Barawitzkagasse zu bewältigen.
Im Kommissariat Hohe Warte hatte man ein anderes
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