Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Sprichwort)». Oder:
Gewitter-Ableiter. Kaiser Augustus führte als Schutz gegen den Blitz immer die Haut eines See-Kalbes mit sich, Tiberius setzte sich einen Lorbeer-Kranz auf und die Montespan nahm ein Kind auf den Arm.
Solche Details schüttelte Hebbel aus dem Ärmel, er war für sein Gedächtnis berühmt. Sein Sinn für die Analogie, für die Ähnlichkeit, stand diesem Gedächtnis nicht nach. Es bedurfte eines Hebbel für die schöne Beobachtung: «Der Tannzapfen ist die Karikatur der Ananas.» Und esbedurfte geradezu prophetischer Gaben, um 1848 und lange vor Stalin und Pol Pot vorherzusagen, der Communismus könne momentan siegen und sich so lange behaupten, bis er alle seine Schrecknisse entfaltet und «die Menschheit mit einem für alle Zeiten ausreichenden Abscheu getränkt» habe.
Dennoch, bei allem Pointengewitter und wetterleuchtendem Witz ist der Grundton bei Hebbel ein hochfahrend leidender. «Daß die Schmerzen mit einander abwechseln», heißt es einmal bei ihm, «macht das Leben erträglich.» Ein solcher Satz weist auf den Basso continuo einer Existenz, die, wenn auch auf ganz andere Art, kaum weniger unglücklich gewesen sein dürfte als die des Grafen August von Platen.
Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen
Von beiden, dem Dramatiker und dem großen Lyriker, ziehen sich zarte Verbindungsfäden zu dem hanseatischen Patriziersohn, der zwölf Jahre nach Hebbels Tod im Jahr 1875 geboren wurde. Er wird einer der großen deutschsprachigen Diaristen des 20. Jahrhunderts. Und er wird es auch sein, der uns die ausführlichste Antwort auf die Frage liefert, warum man überhaupt ein Tagebuch führt.
Die Lyrik Platens liebte er tief. «Wer die Schönheit angeschaut mit Augen/Ist dem Tode schon anheimgegeben» – diese Verse aus dem
Tristan-Gedicht
waren geradezu das Leitmotiv seines Werks. Und um sein Tagebuch, das er ein Leben lang führte, hatte er einen Moment lang ähnliche Sorgen wie Hebbel. In dessen Tagebüchern gibt es eine Unterbrechung, die sich der Angst vor Hausdurchsuchungen verdankt. Hebbel lebte in einer politischen Umbruchzeit. 1848 war die Revolution gescheitert, der Wind, der seither wehte, war schneidend streng. Als Sympathisant der Demokratie fürchtete Hebbel, seine Aufzeichnungen könnten in die Hände der Obrigkeit geraten. 1852 erklärt er im Tagebuch, er habe nur deshalb diese Blätter nicht beschrieben, weil er das Buch fast das ganze Jahr lang im Koffer verschlossen habe. Man höre so viel von Haussuchungen, selbst bei den unverdächtigsten Personen, daß es niemanden gebe, der sich für vollkommen gesichert gegen eine Papierdurchstöberung halten könne. Und lieber wolle er seine Gedanken einbüßen, als sich in seiner aphoristischen Unterhaltung mit sich selbst belauschen zu lassen.
Falls Thomas Mann diese Stelle gesehen hat, wird er sich darin wiedererkannt haben. Er war nämlich in eine ähnliche Lage geraten. Als sich im Frühjahr 1933 die Ereignisse überstürzten und er bei einer Vortragsreise in der Schweiz dringend vor der Rückreise gewarnt wurde, galtseine erste Angst einer Anzahl von Wachstuchheften, die er in seinem Münchener Schließschrank verschlossen hatte. Anfang April notiert er:
Mit Haussuchung zu rechnen. Neue Beunruhigung wegen meiner alten Tagebücher. Bedürfnis sie in Sicherheit zu bringen.
Thomas Mann schickte seinen Sohn Golo nach München, wo er die Tagebücher unauffällig aus der Wohnung bergen und ins Schweizer Exil schicken sollte. Der freundliche Chauffeur, der das Paket aufgeben wollte, war jedoch ein Spitzel und erstattete Anzeige bei der politischen Polizei. Die geheimen Aufzeichnungen waren in die Hände der neuen Machthaber gefallen. Thomas Manns Unruhe wuchs Woche um Woche. Auf dem Höhepunkt seiner Ängste notierte er:
Meine Befürchtungen gelten jetzt in erster Linie u. fast ausschließlich diesem Anschlage gegen die Geheimnisse meines Lebens. Sie sind schwer und tief. Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen.
Mit anderen Worten: Für den Fall einer propagandistischen Ausschlachtung seiner Tagebücher durch die Nazis fürchtete er offenbar, so sehr in die Enge getrieben zu werden, daß ihm nur noch die Flucht in den Freitod bliebe. Zum Glück waren die Beamten zu dumm, um zubegreifen, welcher Schatz ihnen in die Hände gefallen war. Sie durchsuchten das Paket, das sie an der Grenze abgefangen hatten, nur nach Verlagsverträgen. Die Wachstuchhefte hielten sie für Romanentwürfe. Am 2. Mai erreicht Thomas Mann die
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