Heute Und in Ewigkeit
machen.
Oma schüttelte den Kopf und beugte sich über die Behälter voll Süßigkeiten. »Sind das die, die dein Daddy mag?« Sie zeigte auf den Berg bunter Gummidrops. Ich roch die Mottenkugeln, die sie zwischen ihre Pullover steckte. Ein leichter Kirschduft von den Hustenbonbons, die sie ständig lutschte, umwehte uns und mischte sich mit dem penetranten Geruch des Haargels, mit dem sie ihr schütteres Haar zu engen Wellen formte.
An den Samstagen, an denen wir Daddy nicht besuchen gingen, roch ich auch danach, wenn ich ins Duffy zurückkehrte. An diesen Samstagen setzte Oma mich auf den Rand der Badewanne und kämmte mir das rosarote, geleeartige Zeug ins Haar, während ich versuchte, mich nicht zu winden. Dann rollte sie mein Haar mit knautschigen rosa Wicklern auf. Danach kam ich mit herabhängenden Würstchen-Locken ins Heim zurück und wurde von sämtlichen Mädchen ausgelacht, weil alle versuchten, ihr Haar so glatt wie möglich zu bekommen. Aber ich brachte es nie fertig, Oma zu verletzen. Außerdem war mir das Gefühl, wie Omas Finger an meinem Haar herumzupften, die dummen Sprüche wert.
»Zirkus-Erdnüsse mag er am liebsten.« Ich strich mit den Fingern an den hölzernen Dosen entlang und suchte nach den orangeroten Marshmallows, die Daddy so sehr mochte. »Ich wünschte, wir könnten ihm welche mitbringen.«
»Lass doch die Erdnüsse. Er kann sich Süßigkeiten in der Kantine kaufen. Ich muss Geld einzahlen. Ich glaube, er braucht sein Right-Guard-Deo – er hat mir geschrieben. Aber seine Schrift ist so klein.« Oma reichte mir ein zusammengefaltetes Blatt. »Hier. Lies.«
Ich faltete das billige weiße Briefpapier auseinander und hasste den blauen Stempel, der der ganzen Welt verriet, dass dieses Blatt Papier aus dem Richmond County Prison kam. Wegen dieses Gefängnisstempels faltete ich Daddys Briefe immer winzig klein zusammen und versteckte sie in einem Zahnbürstenhalter, damit Enid und das Schuppengesicht Reetha sie nicht zu sehen bekamen. Sie nannten mich Knastmädchen.
Enid und Reetha waren die ekligsten Mädchen im Heim, mit krummen Zähnen, kleinen Brandnarben und Schorf von weiß Gott was. Sie quälten mich. Meine wenigen Freundinnen und ich waren die Niedlichen. Wie hielten zusammen in der verkehrten Welt des Duffy-Parkman-Heims, wo die Hässlichkeit regierte.
Ich faltete das Blatt auseinander und las flüsternd die Worte meines Vaters vor.
Ma, ich brauche: Zahnpasta, Süßigkeiten, Deodorant. Zahl so viel auf mein Konto ein, wie Du kannst, aber sieh zu, dass Du selbst noch genug übrig hast! Bücher – Ian Fleming oder Len Deighton, wenn Du welche findest, die ich noch nicht habe. Was immer Du findest, ist recht, Ma. Danke. Ich hoffe sehr, dass Du und mein kleiner Honeypop nächsten Samstag kommen könnt. Was machen Deine Beine? Warst Du schon beim Arzt, damit er Dir was gegen die Schmerzen gibt? Vielleicht würde Dir die Hitze guttun, wenn Du ein, zwei Wochen nach Florida gehen könntest. Das Salzwasser wäre gut für deine Arthritis, oder?
Liebe Grüß e Joe y
»Florida. Hah!«, schnaubte Oma. Dann lächelte sie. »Joey hat ein
gutes Herz.« »Hast du die Bücher?«, fragte ich. »Ich war in jeder Buchhandlung in Brooklyn.« »Hatten sie denn die richtigen?« Ich fuhr verstohlen mit dem
Zeigefinger an meine Narbe, Oma gab mir einen Klaps auf die Hand.
»Ich habe sie, ich habe sie. Mach dich nicht so verrückt!« Oma stützte sich auf meine Schulter, als sie sich von den Süßigkeiten-dosen aufrichtete. »Gehen wir, sonst kommen wir zu spät.«
Ein kühler Wind blies über das Deck der voll besetzten Staten Island Ferry. Die See war unruhig, und ich hoffte, mir würde nicht schlecht werden. Jedes Mal, wenn wir mit der Fähre fuhren, nannte Oma sie die billigste Verabredung in der ganzen Stadt.
»Siehst du, genau wie ich immer sage, für fünf Cent bekommen sie einen Platz zum Küssen.« Oma wies mit dem Kinn auf ein knutschendes Pärchen. »Billiger als eine Einladung ins Kino und ins Restaurant, was? Die billigste Verabredung in der ganzen Stadt. Aber vielleicht spart er ja zu Recht für den Friseur, damit der ihm diese wüsten Hippie-Haare abschneidet.«
Ich starrte den Mann an, von dem sie sprach. Das Haar fiel ihm in dicken Locken über den Rücken. Er schlang seiner zart wirkenden Begleiterin das schwarze Samtcape fester um die Schultern und umarmte sie.
»Warum sind denn so viele Leute Hippies geworden?« Lulu behauptet, ich könne mich nicht daran erinnern, weil
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