Heute Und in Ewigkeit
sie die Suppenschüssel sacht von sich weg neigte, und mir fiel auf, dass ich das genaue Gegenteil tat. Rasch legte ich den Löffel weg. Ich hatte genug von der Suppe gegessen.
»Lulu. Ungewöhnlicher Name.« Mr. Sachs verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Woher hast du ihn?«
Hillary fühlte sich sichtlich unbehaglich. Sie hatte mich nie nach meiner Herkunft gefragt, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, kannte sie meine Geschichte.
»Eigentlich heiße ich Louise. Lulu ist ein Spitzname.«
»Aha. Ich nenne meine Tochter Hil.« Er verschränkte die Finger und hob sie bis unters Kinn. »Hat das irgendeine besondere Bewandtnis? Lulu?«
Ich rutschte auf meinem Stuhl herum und wünschte, ich wüsste, wie man jetzt das Thema wechseln könnte. »Meine Eltern haben gesagt, als ich noch ein Baby war, hätten meine Augen sie an Little Lulu erinnert. Die aus den Comics.«
Ich erzählte ihnen nicht, was Mama in Wirklichkeit gesagt
hatte und dass ich im Flur gelauscht hatte, während sie und Teenie im Wohnzimmer Kaffee tranken. Sie war so ein unheimliches Baby. So still. Und ihre Augen waren so verdammt groß und rund und dunkel. Wie schwarze Löcher. Wie die von Little Lulu.
Niemand sagte etwas. Vielleicht war ihnen gerade wieder eingefallen, warum ich vermutlich in einem Waisenhaus lebte.
Mrs. Sachs tätschelte mir die Hand. »Du hast bezaubernde Augen, Liebes.«
Ich stieß den angehaltenen Atem aus und lächelte breiter als normal. Dabei versuchte ich, niedlich auszusehen wie Merry, niedlich und gewinnend. Hillary war ein Einzelkind. Sie hatte mir erzählt, dass ihre Mutter nach ihrer Geburt keine Kinder mehr hatte bekommen können. Sie hatte mir auch erzählt, dass sie sich schon immer eine Schwester gewünscht hatte.
»Es wäre so schön, wenn Sie Merry kennenlernen könnten«, sagte ich. »Meine Schwester. Sie ist hinreißend. Das sagen alle.«
»Dann ist sie es bestimmt.« Mrs. Sachs nickte Mary zu, was offenbar bedeutete, dass sie den nächsten Gang bringen sollte. So etwas schnell spitzzukriegen, war wichtig.
»Alle lieben Merry«, sagte ich.
»Vielleicht lernen wir sie ja mal kennen.« Mr. Sachs strahlte unendliche Güte und Sauberkeit aus.
Ich nickte. Merry würde sie bezaubern, solange sie nicht einen ihrer irren Anfälle hatte, aber das kam kaum noch vor, vielleicht einmal im Jahr, und sie würde nicht wagen, das hier zu machen. Nicht, wenn ich ihr sagte, dass diese Leute uns aus dem Duffy holen könnten.
»Hillary hat uns erzählt, was für eine gute Scrabble-Spielerin du bist«, sagte Mr. Sachs. »Hättest du Lust auf eine Partie?«
»Selbstverständlich hätte ich das.« Ich merkte, dass ich die Sprechweise der beiden nachahmte, weil ich mich wie eine Sachs anhören wollte, bis ich eine Sachs wurde.
Im Gegensatz zu den fleckigen Buchstabensteinchen im Duffy und dem Spielbrett, auf dem zahllose Mädchen achtlos herumgekritzelt hatten, passte das Scrabble-Spiel von Hillarys Eltern zu allem anderen, was sie besaßen. Die Spielsteine hatten die Farbe von Wein, und das schicke Plastikbrett ließ sich im Kreis drehen und hatte kleine Halter für jeden einzelnen Buchstaben.
Wir setzten uns ins Wohnzimmer, aber sie nannten es den Salon. Ich fragte mich, ob das nur ein anderes Wort, ein besseres Wort für ein Wohnzimmer war oder ob es ein anderes Zimmer bezeichnete. Überall standen Sessel, denen kleine Tische Gesellschaft leisteten. In der Ecke waren vier Stühle um einen hohen, quadratischen Tisch gruppiert, an dem wir saßen wie eine Familie.
Ich bemühte mich, noch besser zu spielen, als ich je im Leben gespielt hatte. Ich hatte nicht viel Übung, weil die Mädchen im Duffy sich mehr für den Fernseher interessierten. Meistens spielte ich allein und tat so, als wäre ich zwei verschiedene Leute.
Ich starrte auf meine Lettern und wusste, dass sich in dieser Sammlung ein Wort mit sieben Buchstaben versteckte, wenn ich es doch nur entdecken könnte.
Z I G S N T U
U N T I G S Z
Z I T S U N G
Ich brauchte viel zu lange. Sie wurden bestimmt schon ärgerlich. Sie wollten nur nett zu mir sein. Sicher konnten sie es kaum erwarten, dass ich endlich wieder ging. Aber ich bin klug! , hätte ich am liebsten gesagt. Schaut her!
S I T Z U N G.
Wo sollte ich es anlegen? Mein Nacken war schweißnass. Eine Standuhr tickte im Flur. Mrs. Sachs saß mit ordentlich gefalteten Händen da. Hillarys Buchstaben klapperten leise, als sie sie auf ihrem Halter umsortierte. Mr. Sachs schien mich
Weitere Kostenlose Bücher