Heute Und in Ewigkeit
zu ruinieren, indem ich ihnen erzählte, dass ich in Wahrheit gar kein Waisenkind war. Mr. und Mrs. Sachs' Kleidung hätte ich genau so ausgesucht, wenn ich eine Mutter und einen Vater hätte entwerfen sollen – er trug einen tweedähnlichen braunen Anzug mit Krawatte, sie ein sonnengelbes Kleid, das sie fließend umhüllte wie eine Umarmung.
Sie erinnerten mich an Bürgermeister Lindsay und seine Frau. Hillarys Eltern waren perfekte Menschen mit perfekten Zähnen und perfektem Haar.
Im Esszimmer schimmerte eine ganze Welt aus Glas. Weiß und Blau umgaben mich überall, besänftigend und wunderbar. In meiner Welt waren alle Räume schmuddelig beige. Ich setzte mich an den Tisch, bereit, Hillary nachzuahmen. Sie schüttelte leicht eine Stoffserviette aus, so vollkommen glatt, als hätte Mamas alte Nachbarin Teenie sich hereingeschlichen und sie gebügelt. Hillary legte sie sich in den Schoß. Ich tat es ihr gleich und drückte mir den Stoff auf die zitternden Oberschenkel.
Mrs. Sachs klingelte mit einem silbernen Glöckchen, worauf ein Dienstmädchen schräg hinter mir erschien. »Miss?«, fragte sie.
Mrs. Sachs nickte mir zu. »Lulu, Mary fragt dich, ob du ein Brötchen möchtest.«
Ich blickte auf. Mary hielt mir ein duftiges weißes Brötchen mit einer silbernen Zange hin. Ich räusperte mich und hoffte, dass meine Stimme noch funktionierte. »Ja, danke.«
Mary legte das Brötchen auf einen kleinen Teller neben dem Teller direkt vor mir. Der ganze Tisch war voller Teller – winzige Teller, auf die Mary nun Butterstückchen legte, Teller für Brötchen, Teller unter anderen Tellern, auf denen wiederum Schüsseln standen. Drei Gabeln. Zwei Löffel. Zwei Messer. Zehn Mahlzeiten Besteck warteten auf uns. Was sollten wir denn bloß mit so viel Besteck anfangen?
Mr. Sachs lächelte mich an und nickte vor Freude über irgendetwas, das ich nicht verstand. »Also, wie macht sich mein Mädchen denn so als deine große Schwester?«
Hillary schüttelte den Kopf. »Daddy, ich habe es dir doch schon gesagt. Im Duffy-Parkman-Heim nennt man uns besondere Freundinnen.«
»Besondere Freundinnen. Selbstverständlich. Klingt ein bisschen nach Quell der Einsamkeit «, bemerkte Mr. Sachs.
»Daddy ist Literaturprofessor«, sagte Hillary, als würde das die Worte ihres Vaters erklären. »Lulu liest sehr gern, Daddy.«
Ich nickte, denn ich wollte gern als Büchernärrin erscheinen. »Hillary ist mir eine wunderbare Freundin«, brachte ich schließlich mit dünner Stimme hervor.
»Großartig«, sagte Mr. Sachs. »Wir sollten ihr ein paar von deinen alten Büchern mitgeben, Hil.« Mary tauchte eine Kelle in eine große Silberschüssel und goss Suppe in Mrs. Sachs' Teller, dann in Hillarys, dann in meinen. Mr. Sachs kam als Letzter dran. Niemand wählte einen Löffel. Im Duffy war das Mädchen, das sich als Erstes das Essen von der Platte schnappte, meistens schon fertig, ehe die Letzte zur Gabel gegriffen hatte. Schließlich tauchte Mrs. Sachs einen großen Löffel in ihre Suppe, und alle anderen taten es ihr gleich. Ich aß die Suppe sehr vorsichtig und ermahnte mich, besonders gut aufzupassen, indem ich mir vorstellte, eine Bombe würde explodieren, wenn ich auch nur einen Tropfen verschüttete.
»Was für Bücher liest du denn am liebsten?«, fragte Mr. Sachs.
»Ich mag Biographien.« Biographien klangen klug.
»Hat dir in letzter Zeit eine besonders gut gefallen?«
Ich erstarrte, denn ich konnte mich an nichts mehr erinnern, was ich je gelesen hatte, außer Judy Blume, und ich würde eher sterben, als das zu sagen und total gewöhnlich zu klingen. Hillarys Eltern beobachteten mich, Lulu, den Stargast ihres Mittagessens.
»Marie Curie. Ihr Buch«, sagte ich.
»Aha. Aber ich denke, man würde sagen ›ein Buch über Marie Curie‹, außer, sie hat es selbst geschrieben. Hat sie das?«
»Nein. Das wäre ja dann eine Autobiographie«, entgegnete ich. »Richtig?«
Mr. Sachs lächelte, als hätte ich persönlich das Radium erfunden. »Ja. Das ist richtig. Die Schulen in Brooklyn sind wohl doch nicht so schlecht, was, Lulu?«
Während ich noch überlegte, ob er ein Ja oder Nein von mir erwartete, rettete mich Hillary. »Zieh sie nicht auf, Daddy.«
»Selbstverständlich. Es freut mich zu sehen, wie sinnvoll unsere Steuergelder eingesetzt werden.«
Mrs. Sachs bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich wusste, dass sie mich beim Essen beobachtete. Ich sah, wie vornehm sie mit dem Löffel umging, während
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