Heute Und in Ewigkeit
ist Latkes ?«, fragte ich und trat Merry wieder unter dem Tisch. Erzähl ihr ja nichts von Omas Latkes .
»Das darf doch nicht wahr sein. Ihr beiden werdet Chanukka bei uns zu Hause feiern.«
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Lulu: 197 5
mas Beerdigung fühlte sich an wie bei der Addams Family , nur dass statt Cousin Itt und dem eiskalten Händchen Omas Freundinnen die Unheimlichen waren. Die Töchter dieses Mörders. Joeys Mädchen. Das hörte ich die alten Damen flüstern. Erinnerst du dich an ihren Sohn? Den Mörder? Das sind seine Töchter. Sie warfen uns verstohlene Blicke zu und senkten dann die Stimmen, als wüsste ich nicht ganz genau, wovon sie sprachen. Ich wünschte, ich hätte den Mut, hinüberzugehen und eine von ihnen am Ärmel zu zupfen. Entschuldigen Sie bitte. Reden Sie über mich? Joeys Tochter? Es ist nicht ansteckend, das wissen Sie doch. Ach ja, und ich hatte nur Einser in meinem letzten Zeugnis, danke der Nachfrage. Es gibt übrigens kein Mörder-Gen. Ich weiß das. Ich habe Biologie in der Schule.
Nur leider wusste ich das in Wirklichkeit nicht.
Oma starb fünf Monate, nachdem sie mir ihre Wenn-ich-totbin-Versprechen abgerungen hatte.
Sie starb im Schlaf.
Ihr Bruder, Onkel Irving, fand sie, rief die Polizei und fuhr danach schnurstracks zum Duffy, um es uns zu sagen. Ich konnte es kaum ertragen zu wissen, dass Oma tot war, und ich wollte nur noch, dass Onkel Irving wieder wegging, aber er redete die ganze Zeit weiter und erzählte alle möglichen Dinge, die ich lieber nicht wissen wollte, wie zum Beispiel, dass er Oma gerade noch rechtzeitig gefunden hatte, kurz bevor sie zu riechen begann.
Ich hoffte, dass das Gehirn eines Menschen stehen blieb, wenn er starb, und dass er nicht mehr denken konnte. Ich hoffte, dass das Leben nach dem Tod ein Mythos war. Oma sollte nicht wissen, dass es so lange gedauert hatte, bis jemand sie fand, und sie schon beinahe verfault war.
Alle ignorierten Merry und mich, während wir in der kleinen Trauerhalle auf die Trauerfeier warteten. Wir saßen in einer Ecke des überhitzten Raumes. Der Teppich sah so abgenutzt aus, dass er auch Linoleum hätte sein können. Die zu helle Beleuchtung betonte nur noch, dass zu wenig Leute gekommen waren.
Merry hielt meine Hand so fest, dass man glauben konnte, sie müsse durch meine Finger atmen.
Nachdem wir endlose Minuten lang beobachtet hatten, wie alte Leute uns beobachteten, kam Onkel Irving zu uns herüber. Er legte uns jeder eine Hand in den Rücken und schob uns zu dem kleinen Nebenraum. Ich wusste, dass sie da den Sarg stehen hatten.
»Verabschiedet euch von eurer Großmutter«, sagte er. »Ehe sie die Kiste zumachen. Juden haben keinen offenen Sarg bei der Trauerfeier, wenn wir also hier fertig sind, wird sie eingeschlossen sein, und ihr werdet sie nie wiedersehen.«
Merry riss ihre Honeypop-Augen so weit auf, dass ich glaubte, sie würde auf der Stelle umkippen und sterben vor Angst. Konnten Zehnjährige einen Herzinfarkt bekommen?
»Ich verabschiede mich für uns beide, Onkel Irving.« Ich drehte Merry herum und deutete auf einen der schmuddeligen cremefarbenen Stühle an der Wand. »Warte hier.«
Alle sahen zu, wie ich zu dem Sargzimmer in der Ecke ging. Onkel Irving öffnete die Tür, schob mich hinein, zog die Tür wieder zu bis auf einen winzigen Spalt und ließ mich ganz allein. Es war kalt hier drin und so hell, dass ich für den Rest meines Lebens die Augen schließen wollte. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie taub.
Es passiert nichts, es passiert nichts , sang ich mir vor. Ist schon gut. Ich dachte daran, wie mutig Anne Frank hatte sein müssen.
Oma lag auf dem glänzenden weißen Satin, mit dem der Sarg ausgeschlagen war. Dick aufgetragene Schminke bedeckte ihr Gesicht. Konnten ihre geschlossenen Augen wieder aufspringen?
Sie von so nah zu betrachten, kam mir vor, als stehle ich ihr ein Geheimnis. Wussten die Leute, dass sie angestarrt wurden, wenn sie tot waren?
»Sie sieht gut aus«, hatte Onkel Irving gesagt, als er mit mir zu dem Zimmer gegangen war. »Richtig hübsch.«
War er verrückt geworden? Sie sah aus wie die Äpfel und Bananen aus Wachs, die sie immer in einer Schüssel liegen gehabt hatte. Oma hätte gesagt, dass sie sie hergerichtet hatten wie eine Varietétänzerin. Schmieren die mir dieses Zeug ins Gesicht, stell dir vor , hätte sie gesagt. Oma hatte niemals Make-up getragen, außer China-Rose-Lippenstift. Sie hatte die alten Tuben aufgehoben, damit sie am Monatsende, wenn sie auf ihren Scheck
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