Heute Und in Ewigkeit
immer du magst.«
Merry reckte das Kinn ein bisschen hoch, als sie die Sozialarbeiterin angrinste. »Vielen, vielen, vielen Dank. Dürfen Sie uns denn so ausführen?«
»Wir sind doch hier, oder nicht?« Ich fürchtete, das könnte säuerlich geklungen haben, und lächelte hastig, in dem Wissen, dass ich nie so entzückend aussehen würde wie Merry. »Wir wissen das wirklich sehr zu schätzen, Misses Cohen.«
»Ihr braucht euch nicht zu bedanken«, sagte sie. Dann führte sie uns zu einem Tisch am Fenster, und Merry und ich begannen über der Eiskarte beinahe zu sabbern.
Kurz nachdem wir bestellt hatten, kam der Kellner auch schon zurück. Er stellte drei Silberteller vor uns hin, ein Schälchen mit Kaffee-Eis für Mrs. Cohen, einen Vanille-Karamell-Becher für Merry, mit Marshmallow-Pampe statt Schlagsahne, und zwei Kugeln Schokoladeneis mit Schokostreuseln für mich.
Mein Löffel reflektierte die vielen Spiegel um uns herum. Ich tauchte ihn in das cremige Eis und nahm nur einen winzigen Bissen davon, damit es möglichst lange hielt. Einmal im Monat bekamen wir im Duffy Spumoni. Der kleine Brocken sogenannter Eiscreme war grün und in Wachspapier gewickelt und schmeckte nach Gefrierbrand und Blech.
»Schmeckt's?«, fragte Mrs. Cohen.
»Köstlich.« Ich legte den Löffel auf den Silberteller. »Misses Cohen, darf ich Sie etwas fragen?«
»Natürlich, Liebes, was möchtest du denn wissen?«
»Was ist Chanukka? Was sollen jüdische Leute da machen?«
Merry blickte von ihrem Eisbecher auf, den sie zu einer matschigen Suppe verrührt hatte. »Oma sagt …«
Ich trat meine Schwester, fest. »Ich weiß, Merry, ich weiß. Oma sagt, wir sollen uns keine Gedanken darum machen. Aber das sagt sie nur, weil sie traurig ist.«
Ich studierte Mrs. Cohens bekümmerte Augen, um ihre Reaktion einzuschätzen. Statt ihres üblichen, formlosen Kleides trug sie heute einen schwarz-weißen Pullover und eine schwarze Hose. Sie hatte ihr halb ergrautes Haar zu einem Knoten hochgesteckt und wirkte jünger und schlanker.
»Ihr kennt Chanukka nicht?«, fragte Mrs. Cohen.
»Wenn sie in der Schule über Chanukka reden, weiß ich gar nicht genau, was das ist.« Ich stieß langsam und traurig den Atem aus. »Oma hat kein Geld für Geschenke zu Weihnachten oder Chanukka, nicht mal zum Geburtstag. Wir möchten ihr auch keine Fragen stellen, die sie traurig machen könnten.«
Merry sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Halt bloß den Mund , telegraphierte ich ihr, indem ich sie ansah und ganz kurz die Augen aufriss.
»Ich glaube, wir sind fast die einzigen jüdischen Kinder im Duffy. Ich sollte das wohl nicht so wichtig nehmen, aber ich habe niemanden, den ich nach meinem kulturellen Erbe fragen kann.« Ich leckte die Unterseite meines Löffels ab. »Sagt man das so? Kulturelles Erbe? Ich schlage das lieber nach, wenn wir wieder im Heim sind.«
»Das stimmt schon, Liebes.« Mrs. Cohens Miene wurde weich, und sie sah beinahe zu Tränen gerührt aus. »Chanukka ist das Lichterfest. Es erinnert an den Sieg der Juden, die vor zweitausend Jahren ihren Tempel zurückerobert haben. Chanukka bedeutet wörtlich Widmung, Weihung. Wir begehen dieses Fest, indem wir jeden Tag bei Sonnenuntergang besondere Kerzen anzünden.«
»Und es gibt Geschenke, nicht?«, erhob sich Merrys Stimme.
»Ja, es gibt auch Geschenke.« Mrs. Cohen lächelte und strich ihr mit den Fingern durch die Locken. »Meine Kinder haben Chanukka geliebt, als sie in eurem Alter waren. Wahrscheinlich haben wir ein wenig zu viel Aufhebens davon gemacht, um mit Weihnachten mithalten zu können. Weihnachten ist für jüdische Kinder eine schwierige Sache.«
»Wir müssen immer besondere Weihnachtskleider tragen, wenn diese Frauen kommen«, sagte Merry.
Ich nickte, um Mrs. Cohen wissen zu lassen, wie schwer es war, als jüdisches Kind einen Reifrock tragen und für die reichen Frauen Ave Maria singen zu müssen, weil die alle Extras für das Duffy spendeten, wie Puzzles für die größeren Mädchen und Knete für die kleineren. Manchmal bekamen wir richtiges Shampoo, damit wir uns nicht mit der groben Olivenölseife die Haare waschen mussten. O ja, die reichen Frauen veränderten unser ganzes Leben.
»Aber das ist nicht so schlimm«, sagte ich und trug nun richtig dick auf – hoffentlich nicht zu dick. »Wir bekommen ja auch Früchtebrot.«
»Früchtebrot.« Mrs. Cohen verdrehte die Augen. »Ihr Mädchen müsst unbedingt mal Latkes und Rugelach probieren.«
»Was
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