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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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nicht mehr kribbelt, das ist das Niesrezept. Seine Augen sind schon so dick wie Kastanien, wenn er nicht bald aufhört, hüpfen sie heraus. Was geht es mich an. Sein Hals ist rot überanstrengt, seine Ohren brennen. Jetzt niest er zum siebenten Mal habdschi, ich hab vom Zusehen schon Luft im Hirn. Soll er doch mal etwas anderes niesen als habdschi. Jetzt ist aber Schluß, nein, er niest zum achten Mal. Von dem wird nichts mehr übrigbleiben, der niest sich aus, der schrumpft zu einer Rotzkugel.
     
     
    Paul legte das Foto in die Schublade und fragte:
    Was war dein Schwiegervater damals in den fünfziger Jahren.
    Parteiaktivist, sagte ich, zuständig für die Enteignung. Mein Opa hatte Weingärten auf den Hügeln des Nachbardorfes. Der Parfümkommunist hat seine Goldmünzen und den Schmuck konfisziert und ihn mit meiner Oma auf die Liste gesetzt zur Deportation auf den Bäragän. Als mein Opa wiederkam, gehörte sein Haus dem Staat. Er führte Prozesse, bis er wieder einziehen durfte, die Brotfabrik hatte Büros in den Räumen. Über das Haus wurde viel geredet, meist beim Essen, über meine Oma nur hie und da gesagt:
    Sie hat sich vorgenommen, schnell zu sterben, den verfluchten, ersten Sommer nicht gepackt. Sie hat nicht warten können und das Lehmhaus nicht erlebt. An meinem Hochzeitstag kam der Parfümkommunist zum ersten Mal wieder in die Kleinstadt. Unüberlegt, wie sich herausstellte. Er hat sich wohl gedacht, daß ihn niemand mehr kennt, oder nicht einmal das. Die Leute des Reviers waren für ihn nichts als eine Landplage. Vielleicht hat er sich die paar gemerkt, die ihm zu Diensten waren. Die Namen des Gesindels kannte er von den Listen, aber kein Gesicht. Meine Oma war nur eine Tote seiner Wahl, es gab viele. Er wollte feiern, als er wiederkam. Mein Opa erkannte ihn sofort am Gang und an der Stimme, auch wenn er sich mit einem neuen Namen vorstellte. Sein damaliger Name war dienstlich, der jetzige ist sein Geburtsname. Er ist der Sohn eines Kutschers, der nach dem Krieg mit zwei braunen Pferden als Fuhrmann sein Leben machte. Er fuhr Holz und Kohle in die Häuser, auch Kalk und Zement. Gelegentlich auch Särge zum Friedhof, wenn Leute den elegant geschnitzten Totenwagen nicht bezahlen konnten. Er hat sein Lebtag lang mehr Pferdemist gefegt als Geld gesehen. Seine Söhne mußten hinterm vollen Wagen herlaufen, um die Pferde zu schonen, und wenn der Wagen hielt, abladen, schaufeln oder Säcke tragen. Das weiße Pferd war für meinen Schwiegervater ein Abschied von den Arbeitstieren, er stieg auf seinen Rücken und war aus dem Dreck. Wie ein Affe auf dem Schleifstein ritt er durchs Dorf und haßte all jene, die reicher als ein Fuhrmann waren. Das Parfüm war seine zweite Haut. Ein Parfümkommunist, wie kann es das geben, fragte ich Paul. Was ist eigentlich ein Kommunist.
    Ich, sagte Paul. Ich war brav erzogen, machte meine Schulaufgaben und mein Vater rief mich in die Küche. Seine Rasierschale stand auf dem Tisch, und auf dem Herd heißes Wasser. Er pinselte mir die Seife bis in die Nasenlöcher und brachte sein Rasiermesser. Ich hatte damals noch keine sieben Barthaare in zehn Reihen stehen. Ich war stolz auf mich, begann mich zu rasieren und ging in die Partei, für meinen Vater gehörte das zusammen. Er sagte, er sei vor der Zeit geboren und könne nur mit ihr gehen. Zuerst Faschist, dann Illegalist. Aber ich sei in die Zeit hineingeboren und müsse ihr voraus sein. Die paar wirklichen Illegalisten sagen heute nicht umsonst: Wenige sind wir gewesen, viele sind wir geblieben. Man brauchte viele, die schlüpften wie Wespen aus dem alten Leben. Wer arm genug war, wurde Kommunist. Und viele Reiche, die nicht ins Lager wollten. Nun ist mein Vater tot, und so wahr es den Himmel da oben gibt, nennt er sich dort Christ. Das Motorrad gehörte ihm. Meine Mutter war Schlosserin. Jetzt ist sie pensioniert und trifft sich jeden Mittwoch mit den verhutzelten Genossen ihrer Brigade in der Konditorei neben der Eisenhandlung am Marktplatz. Wenn ich als Kind mit meinem Vater durch die Stadt ging, zeigte er mir sein Bestarbeiterfoto auf der Ehrentafel im Volkspark. Ich sah lieber den Eichhörnchen zu, die alle Mariana hießen und Kürbiskerne knackten, weil die Leute keine Nüsse hatten. Am Parkeingang konnte man Kürbiskerne kaufen. Ausbeutung sei das, sagte mein Vater, eine Pfote Kürbiskerne für einen Leu. Er kaufte mir keine.
    Eichhörnchen ernähren sich selbst, sagte er.
    Ich mußte mit leeren Händen Mariana rufen,

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