Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
vor knapp zwanzig Minuten hier liegen gelassen, ich schwöre es.«
»Weißt du noch, wo du das Buch gefunden hast?«, fragte ich. »Vielleicht war ja jemand hier und hat es ins Regal zurückgestellt.«
Jenna kaute auf ihrer Lippe herum. »Ja, stimmt, könnte sein. Es stand oben, neben diesem … merkwürdigen Schrank.«
Ich folgte ihr in den ersten Stock. »Wieso merkwürdig?«
»Wirst du gleich sehen. Okay, also, ich war ziemlich weit hinten, neben dem Gemälde von irgendeinem Kerl auf einem Pferd …«
Mir wurde schnell klar, warum es Jenna schwerfiel, sich daran zu erinnern, welches Regal welches war. Im unteren Teil der Bibliothek säumten ausschließlich Bücher die Wände. Doch hier oben wetteiferten zudem noch ungefähr dreißig freistehende Bücherschränke um ein bisschen Platz. Einige von ihnen standen so dicht nebeneinander, dass ich mich nur seitwärts zwischen ihnen hindurchschieben konnte.
»Aha!«, triumphierte Jenna irgendwo links von mir.
Sie stand auf den Zehenspitzen und suchte ein Regal ab, neben dem tatsächlich das Gemälde von einem Burschen auf einem Pferd hing. Ich fand, dass er für einen Typen, der so ein stilvolles Hermelincape trug, schrecklich grimmig aussah.
Jenna hatte mittlerweile auch so eine genervte Miene aufgesetzt. »Hier ist es nicht«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir unten noch mal nachsehen.«
Ich unterdrückte meine Enttäuschung. Es war mir noch nicht ganz klar, warum ich das Buch eigentlich so unbedingt sehen wollte. Ich wusste ja inzwischen, wo ich den Namen Thorne schon gehört hatte und auch, was mir daran so wichtig vorkam.
Thorne war nämlich der Nachname jener Frau, die Alice durch ihre Beschwörung zu einem Dämon gemacht hatte. Die mich ebenfalls – wenn auch ungewollt, vermutlich – zu einem Dämon gemacht hatte. Und für mich bestand kein Zweifel daran, dass Alice eins dieser Mädchen gewesen war, die während des Blitzkrieges hierhergeschickt worden waren, und dass Thorne Abbey der Ort war, an dem alles angefangen hatte.
Und trotzdem wollte ich ein altes Foto von ihr sehen. Aus der Zeit, bevor man sie verwandelt hatte.
»Ach, na ja«, sagte ich zu Jenna. »Wir können ja später noch mal wiederkommen. So wichtig ist das nun auch nicht.«
Jenna war natürlich nicht blöd. Sie kannte mich lange genug, um zu wissen, wann ich log. Doch sie ließ es auf sich beruhen und sagte: »Na, dann sieh dir doch das mal an.«
In einer Ecke, direkt unter Genervter Bursche auf einem Pferd, stand ein kleiner, schwarzer Bücherschrank, der mir gerade so bis zur Brust reichte und völlig verstaubt war. Ich begriff sofort, warum Jenna das Ding so seltsam vorkam. Nur ein einziges Buch lag in dem Regal, noch dazu in einem Kasten aus dickem Glas. In dieses Glas waren Symbole geritzt, die ich noch nie gesehen hatte.
»Versuch doch mal, den Glaskasten zu öffnen«, meinte Jenna.
Da ich keine Griffe erkennen konnte, wollte ich probieren, ob ich das Glas vielleicht seitlich aufdrücken konnte und legte die Finger deshalb um die obere Kante.
Sofort riss ich die Hand zurück. »Holla!«
»Krass, oder? Das Ding ist mit einem fiesen Schutzzauber belegt.«
Fieser Schutzzauber war noch äußerst untertrieben. Meine Finger taten höllisch weh. Der Schmerz fühlte sich so ähnlich an wie damals, als ich Archers Brust berührt und sich das Zeichen von L’Occhio di Dio in die Innenfläche meiner Hand gebrannt hatte. »Was dieses Buch auch sein mag, jedenfalls wollte da jemand unbedingt verhindern, dass irgendwer einen Blick hineinwirft.«
»In der Tat.«
Jenna und ich zuckten zusammen und fuhren herum.
Hinter uns stand mein Dad, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, die Hände hinterm Rücken verschränkt. »Dieses Buch ist das Grimoire der Familie Thorne. Ein Zauberbuch.«
»Ich weiß, was ein Grimoire ist«, murrte ich, doch er redete einfach weiter, als hätte ich nichts gesagt.
»Es enthält einen der schwärzesten Zauber, der jemals einem Prodigium bekannt gewesen sein dürfte. Der Rat hat es schon vor vielen Jahren versiegelt.«
»Dann waren sie also Zauberer? Die Thornes?«
Dad strich mit einer Hand über den Schrank. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, doch er schien die Magie überhaupt nicht zu spüren. »Das waren sie, ja«, erwiderte er. »Selbstverständlich dunkle Zauberer und Hexen. Sehr mächtig und sehr geschickt, wenn es darum ging, ihre wahre Identität vor den Menschen zu verbergen.«
»Und sie waren auch diejenigen, die Alice zu einem Dämon
Weitere Kostenlose Bücher